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Eine ganz besondere Nacht in Kassel

Da sind wir wieder. Zeit für ein Statement. Another day after. Immer noch Vorweihnachtszeit, immer noch Regen. Der feuchtkalte Dezemberatem hielt noch immer all die negativen Erlebnisse aus 2018 omnipräsent genau in Augenhöhe vor mich. So wie Kinderwagen immer genau auf Augenhöhe mit all den Cayenne und Q5 Endschalldämpfern sind. Ob das so üblich ist weil der deutsche Ingenieursnachwuchs möglichst realistische NOx Messungen vornehmen und dabei den im Auspuff montierten Soundgenerator bewundern soll, weiß ich nicht. Ist auch nicht wichtig, solange die Kinderwagenreifen aus biologisch veganem Recyclingkautschuk in einer 28 Stundenwoche außerhalb Bangladeshs geklöppelt wurden.

Während ich also noch so über all den Mist nachdenke, der 2018 zu diesem grandiosen Fiasko machte, entschließen wir uns gegen 22.00 Uhr doch noch die Stadt auf den Kopf zu stellen und einfach mal nicht dran zu denken. Die Straßen im nächtlichen Kassel sind leergefegt. Der kalte Dezemberdauerregen hat alle vor die heimischen Kamine gespült und den Mantel der Idylle und Heimeligkeit um die Menschen gelegt. Der Königsplatz hat die Buden verriegelt, Rentierschlitten, Karussell und Eisbahn stehen still und auch der letzte Weihnachtsenthusiast klopfte sich schon vor Stunden die Speckkuchen- und Mutzenmandelkrümel aus dem Wollmantel. Wir betreten zuversichtlichen Schrittes die anvisierte Lokalität, deren aus Marketingsicht völlig unzureichende Außenwerbung bereits einen ersten Hinweis auf den gewählten Einrichtungsstil gibt, der irgendwo zwischen 'Vigos Karpaten-Jagdhütte' und der IKEA Fundgrube liegt. Nun ja. Es ist ohnehin so dunkel, dass einem nicht auffällt wo man gleich hinfällt. Jedenfalls haben Artemide, Flos und Foscarini hier nicht mitgewirkt, das ist sicher. Aber voller Überraschung stellen wir fest, dass wir nicht allein sind. Veronika, Susanne und viele viele andere Kasseler, Kasselaner und Kasseläner drängen sich hier in Shreks Wochenendzweithöhle und haben einfach eine gute Zeit. Ich versuche einen Algorithmus festzustellen. Mein Kopf sucht nach Schubladen für all die Menschen, will katalogisieren, fixieren, einordnen, ablegen. Aber es gibt weder ein geschlechtliches, noch ein nach Alter oder Einkommen, Kleidungsstil oder Herkunft auszumachendes Muster. Und alle sind gut drauf, während der im Farbwechsel-LED beleuchtete Sitzbuddha oberhalb der Tanzfläche den enthusiastischen Protagonisten freundlich zuwinkt. Übrigens stelle ich weder Karohemden noch Krombacherlongsleeves fest. Aber das ist nicht so wichtig. Wir amüsieren uns prächtig.

Und als uns Osama Bin Ladens westlichster Höhlenausgang wieder in die Kasseler Regennacht ausspuckt, leuchtet über uns der beeindruckende Laser Scape, jene Installation der Documenta (war es 6 oder doch 7?) aus den Siebzigern von diesem Herrn Baumann, die Anfang der Dekade, glaube ich, zu neuem Leben erweckt wurde. Ich erkläre Schwesterchen, dass mir auch einer der Lasermeter gehört mit denen das alles finanziert wurde und zeige ihr schließlich, wo der Laser unterhalb der Herkules Statue auftrifft. Hoch über den Dächern Kassels, durchgespült vom Dauerregen, die Kragen aufgestellt gegen den stürmischen Nachtwind der Wilhelmshöhe und die Schuhe im Dreck der Dauerbaustelle Herkules, stellen wir fest, dass das Fridericianum, von wo der Laser abgefeuert wird, offenbar gar nicht parallel zur Wilhelmshöher Allee liegt. Ok. Eigentlich wundere ICH mich immer wieder nur, dass der Herkules nicht in einem Teilchengestöber mit Funkenschlag explodiert. Ich muss mir Star Trek VI vielleicht doch nochmal ansehen, glaube ich.

Es ist viertel nach zwei. Keine besonderen Vorkommnisse, Nummer Eins! Trotzdem. Was für eine Nacht.