Da sind wir wieder. Zeit für ein Statement und den ersten Nachtrag des Jahres. Euch allen noch ein gesundes und frohes neues Jahr. Ich hoffe ihr seid gut rein gekommen? Die Frage hab ich einige Male gestellt in den letzten Tagen. Und einige Male gestellt bekommen. Wie jedes Jahr. Oder, nein, überhaupt nicht wie immer! Ganz und gar nicht!
Die unsäglichen Vorgänge des Jahres 2018, die stürmischen Gezeiten zwischenmenschlicher Kommunikationsprobleme und emotionaler Kapitulation führten gegen Jahresende tatsächlich noch in ruhigere Gewässer, in die traumhafte Bucht hinter der nächsten Klippe, von der alle immer geredet haben. Das angeschlagene Boot, der Seelenerkäufer, um beim Bild zu bleiben, trieft noch von der Gischt des Sturms. Doch die Küste ist zu sehen und da stehen freundliche Gesichter. "Bring den einfach mit!" hatten die Fremden zu Sommersprosse gesagt und so landete ich pünktlich am Silvesterabend im Niemandsland hinter Kassel. Quasi hinter den sieben Bergen, um die Grimmschen Begrifflichkeiten wie zufällig einfließen zu lassen. Mitten im nirgendwo, in tiefschwarzer Nacht, identifiziere ich ungläubig ein Schild auf dem 'Golfclub' steht. Hier müssen noch mehr Menschen wohnen! Vielleicht hätte ich die Navigationskarte von Mittelerde genauer studieren sollen, sinniere ich vor mich hin und bin froh, daß ich vollgetankt habe.
Wir orientieren uns am einzigen Licht weit und breit, stapfen einen ebenso unbeleuchteten wie nassen und matschigen Kiesweg entlang und betreten schließlich das leicht erhöht stehende Haus, dessen warmes Licht uns schon seit einiger Zeit magisch anzieht wie ein mit Teddyfleece gefütterter Strickmantel, der sich einem Frierenden zum Aufwärmen hinreckt.
Es begrüßt uns eine bunt gemischte, illustre Truppe. Sie einzeln vorzustellen und zu beschreiben ist leicht. Genau deshalb tue ich es nicht. Sie alle entpuppen sich schnell als Typen, als individuelle Charakter-Köpfe, als unverfälschte Originale. Doch sie haben alle eines gemeinsam : sie wollen wissen, wer ich bin. Es ist echtes, ehrliches, neugieriges, unverfälschtes Interesse. Nicht oberflächlich. Es kommt von Herzen. Ich täte ihnen zutiefst Unrecht, verwurstete ich ihre spezifischen Eigenheiten und Charakterzüge für meinen eigenen Egotrip, meinen Fratzebuch Erguss, mein therapiebedürftiges Mitteilungsbestreben. Deshalb 'thanks! But NO thanks!' Aber ich hab euch nicht vergessen. Der Raum ist liebevoll hergerichtet und dekoriert, es duftet herrlich nach geschmortem Fleisch und stundenlanger Vorbereitung in der Küche. Alles was ich mitbringe, ist eine Flasche Prosecco und ein Karton Glückskekse. Wie armselig... Ich ärgere mich über mich selbst. Wir sitzen alle an einer großen Tafel. Mein geschulter Blick identifiziert diverse Ikea Elemente, perfekt harmonierend kombiniert im Raum, während meine Füße energisch versuchen, die beiden Hunde abzuschütteln. Der eine, ein bildschöner Dalmatiner mit toller Zeichnung, scheint einen seiner Flecken verloren zu haben, der nun mehr oder weniger schwanzlos in seiner Nähe bleibt wie ein Putzerfisch am (schwarz-) weißen Hai. Wir essen selbstgeschmortes Gullasch, ich hatte schon beim Reinkommen den schweren roten gusseisernen Topf von J. A. Henkels, besser bekannt als Zwilling, Solingen, gesehen. Mein Büro war jahrelang in deren direkter Nachbarschaft, da kennt man die Produkte. Aus dem Ding kam noch nie was schlechtes, denke ich, und ich sollte Recht behalten. Es gibt wenig Alkohol, was der Stimmung keinerlei Abbruch tut. Alle lachen herzlich, als ich im Zwielicht der Kerzen die eine unentdeckte Chilischote erwische, zerkaue, runterschlucke und kurz davor bin, in einem heiseren Räusper abzuleben. Wie der Gasmann im Burgerladen, nur falls jemand 'Dumm & Dümmer' mit Jeff Daniels und Jim Carrey noch vor Augen hat...
Schließlich taucht eine Gitarre auf. Meine Tischnachbarin spielt energisch und völlig frei einen mir unbekannten Song. "Ich bin ein Gänseblümchen". Echt jetzt? Was ist DAS denn? Ich bin begeistert. Zwischen Gullasch, Kerzen, Hemnes, Tröllbo und Dalmatinerflecken jammen wir im Esszimmer. Während ich etwas schief aber voller Inbrunst die Reunion von Noel und Liam herbeisinge, schiele ich über den Tisch, Sommersprosse strahlt über beide Ohren. Klasse. Alle singen schließlich irgendwie alles mit, bis jemand darauf aufmerksam macht, dass es gleich Mitternacht ist.
Unglaublich. Best Silvester ever. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal sowenig gemustert wurde, mich sowenig beobachtet und gleichzeitig gesehen gefühlt habe. Wann ich zuletzt so ein tiefes 'ich kenne dich' Gefühl hatte. Ich muss es nicht aussprechen. Es ist alles klar. Trotzdem. Danke.