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Frühmorgentliches Fäkalfernsehen

Da sind wir wieder. Zeit für ein Statement. Ein kurzes diesmal. Keine tiefgreifende, tiefgründige, adressatenverleugnende Beziehungsbewältigung, keine systemimmanente Systemkritik, keine verallgemeinernde Fallstudie. Nur eine Beobachtung. Wer dies hier verfolgt hat und nicht regelmäßig an der eigenen Fähigkeit der Obduktion vitaler Schachtelsätze scheiterte, erinnert sich vielleicht daran, dass ich bekennender Frühstücksfernsehgucker bin, was in Teilen Teilspaniens bereits als betont männlich mutiges Outing gilt und gelegentliche kleinere Emotionstsunamis zur Folge hat. Tatsächlich aber beschränkt sich mein Frühstücksfernsehkonsum üblicherweise auf das Angebot der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten, den informationslastigen Fernseh-Schwerkostlieferanten ohne Werbeunterbrechung, bei denen ein Mindestmaß an redaktioneller Vorbildung offenbar immer noch als, optische Grundmängel ausgleichendes, Faktum dient. Heute jedoch, als ich, mich selbst beim Sockenanziehen umständlich hoffnungslos verknotend, auf dem Sofa wiederfand, dümpelte das Programm nur unwichtig begleitend als akustischer Trostspender im Hintergrund. Es lief : SAT1. Was soll ich sagen, es fiel mir nicht auf. Bis, tja, bis zur obligatorischen, jinglebegleiteten Einspielung von Kaufempfehlungen. Ich halte absolut ungewollt und ungeplant in der just begonnenen Bewegung abrupt inne. Mich fasziniert das Farbspiel, die Gesamtkomposition, die sich mir darbietet. Eben hatte noch eine Frau darüber geklagt, dass sie immer und überall mit Durchfall auf Toilette musste, jetzt sitzt da ein bärtiger Mann mittleren Alters in einem 60iger Jahre Sessel, giftgrün bezogen (der Loungechair, nicht der Mann), und verkündet mit verständnisvoller, ernster Miene, dass er immer wieder Blähungen hatte. Erklärt die Farbe des Sessels, denke ich mir. Er sitzt vor wenig Authentizität vermittelndem schneeweißem Hintergrund, das Giftgrün setzt sich ausgesprochen pupillendominierend ab und mir fällt auf, wie wenige Tabus es noch im Werbefernsehen gibt. Lief nicht eben noch ein Trailer für Vaginalsalbe? Schon irre, alles erscheint möglich. Blähungen und Durchfall zum Frühstück. Ich fasse es nicht. "You must be evil" wusste schon Chris Rea zu diesem Thema. Der nächste Einspieler erwischt mich eiskalt. Penetrant schräg, überzogen, laut und präzise auf den Punkt gequält und gekünstelt witzig posaunt die spärlich animierte WC-Ente, daß sie mit dem Frischesiegel ein grandioses neues Produkt aus ihrem Federarsch gequetscht hat. Woher sonst, Enten haben ja keine Hände. Ich muss grinsen. Passt ja super zu Blähungen und Durchfall, denke ich. Von abgestimmter Werbung hatte ich schon gehört, doch dachte ich immer, es ginge darum, das Ausstrahlen von Werbeblöcken senderübergreifend und kartellamtsheraufbeschwörend zu vereinheitlichen um auch die letzte Chance werbepausenfüllenden Wasserlassens zu unterbinden und den geschätzten Konsumenten dichter an den Apparat zu binden. Das hier hatte eine neue Qualität. Respekt. Ich ziehe weiter meine Socken an, als der dritte und letzte Werbespot den Bildschirm entert. Auf 127cm Diagonale, dem morgendlichen epischen Schauplatz von Durchfallhemmer, Blähungsblocker und Entensiegel präsentiert Michael Buble' sein neues Album "Love". Wahnsinn, was man heutzutage alles koordinieren kann. Das erklärt die ersten beiden Spots, schafft eine empirische Grundlagenhäufung und ist einfach nur schön. Wirkung, Lösung und Ursache, harmonisch aneinander gereiht. Müsste ich nicht aufs Klo, würde ich applaudieren. So muss Werbung sein.

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