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Long live the cow

 

Da sind wir wieder. Zeit für ein Statement. Einsatz No.2 in meiner Geburtsstadt Hofgeismar für mich. Ich würde lieber „ahle Wurscht“ vom Köhler kaufen und mit einem „Trendelburger Feuergeist“ runter spülen oder einen Hausbecher im „Dolomiten“ in Grebenstein essen, aber meine Mutter zieht um. Immer noch. Das Umzugsunternehmen, deren Leute jetzt  sicher was zu erzählen haben, ist schon durch, das Grobe ist erledigt. Es gilt, geschickt bei der Auswahl der hingebungsvoll von ihr selbst gemalten Bilder zu helfen, die dann als einzige gehängt werden können, ohne die übrigen Bilder auch nur ansatzweise zu missbilligen oder abzuwerten, die es nun nicht an die wenigen verfügbaren Penthousewände schaffen. Außerdem müssen wir den aktuellen Möbelbedarf definieren, bemessen, erwerbend füllen und ggf. den Abtransport mobiliarer Reliquien vergangener Zeiten, aus der amateurhaften Pre-Farbkonzept-Ära, des Abtransportes anheim geben. Obendrein ist ein Lampen-, Leuchten- und Leuchtmittelkonzeptsystem zu erstellen. Ich bin voll in meinem Element. Doch meine Mum ist immer schon da, wo ich gerade noch hin will: dieser Widder ist unter Strom.

 

Es ist wie eine nostalgisch künstlerische nordhessische Höllenachterbahnfahrt. Beispiel gefällig?  Bloß keine Standardgarderobe in den Flur, das will sie nicht. Aber der kleine süße metallene Kleiderhaken in Form einer Kuh, der wär doch toll! Aber nur wenn der andere kleine Haken in Form der Ziege auch noch dahin kommt. Direkt daneben. Und der Elefant. Und der Hahn. Ja das wär´ super. Da hätten alle Gäste im Eingang schon was zu gucken. Oder doch der große Kuhkopf mit den drei Haken? Dann aber ohne Ziege, Elefant und Hahn, oder? Genau! Ja, die Garderobenkuh korrespondiert dann großartig mit der großen roten Kuh, die sie aus Pappmaché selbst gebastelt hat und die nun wie ein lebensgroßes krummbeiniges Kälbchen am Eingang zum Küchenbereich auf Gäste wartet, der dramaturgisch aufgeladene in-door „eyecatcher“. Die ist ja auch der Grund, warum sich alle übrigen Möbel, Dekorationsobjekte, Stoffe, Farben und Oberflächen optisch zurückhalten müssen. Toll. Aber die Garderobenkuh ist schwarz-weiß gefleckt und sitzt auf einem rosa Schild. Das geht natürlich gar nicht. Also werden wir das Kuhschild der Schildkuh ebenso natürlich rot streichen müssen. Hochglanz oder matt? Selbstverständlich hochglänzend, genauso passend wie die Kuh zur Küche, wegen der Korrespondenz innerhalb des Farbkonzeptes! Hm. Die große Kuh könnte dann doch auch gleich nochmal neu rot gestrichen werden…besser wir kaufen noch einen großen Topf Feuerrot RAL3000.

 

Mir dämmert allmählich, dass der Einsatz mit Beginn letztes Wochenende nicht an diesem Wochenende beendet wird, und ich plane schonmal ein drittes. Es ist genau wie letztes Mal. Ich bin fix und fertig, habe aber auch einen Heidenspaß. Auch weil ich weiß, dass ich nur die Vorhut bin, denn mein geliebter Bruder wird im Nachgang alle frisch begonnenen Projekte mit großer Freude praktisch zu Ende umsetzen und sich vor einem Berg seltsamer Aufgaben wiederfinden, die sich zwar alle mit Wasserwaage, Bohrer und Dübel lösen, jedoch selten ergründen und nachvollziehen lassen. Warum sieht die Küchenlampe aus wie ein geknotetes Laserschwert? Und ist die Schlafzimmerlampe dem explodierenden Todesstern nachempfunden? Und kennt Mum überhaupt Star Wars?

 

Wir cruisen mit vorausschauend fernentriegelt umgeklappten Rücksitzen über Land, überqueren die Grenze von Nordhessen zu Südwestfalen und erreichen das vierhundertdreiundzwanzigste Möbelhaus  der Umgebung, eines der wenigen, in dem wir noch nicht waren, weshalb wir ausnahmsweise nicht mit Vornamen angesprochen werden. Hier entdecken wir zwei ambitioniert enthusiastischen Amateurinnenraumdesigner endlich die passenden Stühle für den Esszimmertisch. Leichte Hochlehner ohne Armlehne, gut zu arrangieren und zu stellen. Mit modisch grauem, bequemen Stoff in spezieller, attraktiver loftartiger Knopfheftung, nehmen sie das so wunderbar klare Farbkonzept von Küchenzeile und Esstisch auf, ohne ungünstig zu dominieren. Außerdem sind sie recht günstig. Katching! Gekauft! Hm…aber sie haben Beine in „Eiche hell“. Die Tischbeine vom Esstisch sind doch aber weiß!  Kein Problem, streichen wir! Bitte was machen wir? Wir streichen die neuen Stühle? Jepp. Genau. Denn dann sind sie WIRKLICH  perfekt. Wir brauchen also hochglanzweißen Möbellack, korrespondierend weiße Grundierfarbe, einen passenden Pinsel,  Möbelmalerkrepp „Spezial“ und Abdeckpapier der Sorte „Standard leftover“. Schnell noch zu OBI? Klar. Aber vorher sucht Mum noch das Gespräch mit dem Stuhlverkäufer: „Sie verstehen doch, wir würden die grauen  Stühle ja wirklich nehmen, aber die Beine müssten wir erst alle weiß streichen, das kostet ja nochmal extra. Wenn Sie allerdings einen Nachlass…“ ich bin baff, aber seit über vierzig Jahren nicht mehr überrascht. Fünf außerplanmäßig nachgelassene Prozent später belädt der arme Mann mir auch noch das Auto und wir haben die geplante Liquidität für den ungeplanten Farbtopf, farbenprächtig und hochempathisch bestens ergänzt durch Aussicht auf zweimal Currywurst Pommes auf dem OBI-Parkplatz. Und die erwähnte große Garderobenkuh mit dem (noch) rosafarbenen Schild.

 

Nächster Halt: OBI, direkt gegenüber. Vielleicht stranden hier regelmäßig umzulackierende Kuhschilde und unzureichend farblich durchdachte Neustühle, wer weiß? Könnte ein perfides new-economy Geschäftsmodell sein, vielleicht begründet durch eine eigentlich unzulässige Absprache der beiden manipulativen Häuser? Das wäre was für das Kartellamt. Ich habe aber keine Zeit für so etwas. Denn der Widder rauscht bereits durch die Farbenabteilung, während Kunden wie Mitarbeiter respektvoll den Weg frei machen. Da! Lacke! Hammerschlagweiß oder Deckweiß? Rostschutzfarbenweiß wohl nicht, schließlich wurde das dramatische Rosten hölzerner Stuhlbeine weniger oft empirisch belegt als der Zusammenhang des Aufrichtens der Statuen der Osterinsel mit dem Rapa Nui (Gruß an Kevin Costner). Dann Matt (nicht Damon) oder Hochglanz? Kleine oder große Dose? Markenprodukt, No-Name oder OBI-Eigenmarke? Etliche gelesene Rückenetiketten später sind wir schließlich fündig. Dann noch etwas Schleifpapier und das Malerkrepp.

 

Auf zur Kasse. Wir entscheiden uns für Kasse 3, da stehen nur zwei Leute, ein junges Pärchen. Der Mann steht schon halb außerhalb des Kassenbereichs und schaut extrem grimmig. Stefan Jürgens hätte bei „RTL Samstag Nacht“ sicher die farbige Umschreibung „Bächtig möse, aber bächtig möse!“ bemüht, um dieses Grumpy-Cat-Revival sprachlich zu transportieren. Der Mann ist etwas kleiner und hagerer als der Landbevölkerungsdurchschnitt der ostwestfälischen Umgebung und steckt in schwarzer Kleidung aus Leder, Schnallen und Metallösen. Ab und an blitzt eines der unausweichlichen Tattoos auf seinem Unterarm auf. Ich beobachte meine Mutter, die ihn wenig unauffällig ebenfalls mustert;  ihr Gesichtsausdruck sagt sowas wie „Chihuahua mit Nietenhalsband“, sie ist eindeutig nicht beeindruckt. Mein Augenmerk liegt dagegen auf der jungen Frau, allerdings weniger wegen der optischen Reize. Mit blonder Mähne hängt sie halb auf dem Kassentresen und spricht energisch auf die arme Kassiererin ein. Es geht darum, dass der ausgewählte Artikel im Regal mit 99 Cent ausgezeichnet war und nun 3,99 € kosten soll. Die Kassiererin versucht verzweifelt, jemanden aus der richtigen Abteilung ans Telefon zu kriegen, während an der nur fast freien Nachbarkasse die Kassiererin vermutlich zwischenzeitlich bereits in Rente ging und auch die Kunden mittlerweile scheinbar in zweiter Generation den renovierten Kassenbereich 1 & 2 durchlaufen. Die junge Frau ist nicht unattraktiv, trägt aber neben einem engen schwarzen Top auch die disqualifizierende Missmut ihres Begleiters grandios provokativ  zur Schau. Die Krönung ist aber ihr Tattoo zwischen den Schulterblättern, ein riesiger Reichsadler mit ausgebreiteten Schwingen, ready for provocation. Ich bemühe mich zu erkennen, ob er ein Hakenkreuz in Klauen trägt, kann aber keines ausmachen. Ich meine ein Wehrmachtskreuz zu erkennen, will aber nicht zu auffällig hinstarren. Die junge Frau bekommt schließlich ihr Recht. Oder ihren Willen, so ganz wird es mir nicht klar, und eine kleine BIO-Tomatenpflanze wechselt für 99 Cent den Besitzer. Die beiden ewig grimmigen ewig Gestrigen verlassen das Geschäft und ich freue mich. Denn wenn selbst die Rechten mit ihrer BIO-Tomate einen Beitrag zu Umwelt- und Klimaschutz leisten wollen, ist noch nicht alles zu spät. Ein bisschen wie Ku-Klux-Klan-Kapuzen, die mit Neutralseife und ohne zugesetzte Parfumöle gewaschen werden. Oder Waterboarding mit Evian. Sie könnten auch Plastikgeschirr mit Luffagurken abwaschen. Aber es ist ein Anfang.

 

Wir vertilgen die geplante Convenience Currywurst und machen uns wieder auf den Weg. Schnell haben wir die beiden Agent-Provocateur-Derivate aus dem gewaltfreien Kassenbereich wieder vergessen, denn wir haben gerade erst nigelnagelneue Stühle gekauft. Und die sind noch nicht gestrichen. Und dann muss ich noch Wandfarbe besorgen. Betonfarbe in Schiefergrau oder Felsgrau? Ich denke, ich sehe mir Loriots Fachberatungsklassiker nochmal an, die Graukollektion der belgischen Firma mit 28 Farbtönen von Herrn Winkelmann könnte helfen. Mausgrau, Staubgrau, Aschgrau, Bleigrau, Zementgrau…Er empfiehlt letztendlich ja das „ganz frische Steingrau“, mal sehen. Ich werde aufpassen müssen, er kannte schließlich Mum nicht.