
Da sind wir wieder. Zeit für ein Statement, diesmal in Form eines semi-regionalen Reisetagebuches.
Was für eine Woche! Ähnlich wie zu jenen Zeiten, an denen ich mich permanent streckte und reckte, um irgendwie omnipräsent verschiedenste Baustellen privater und beruflicher Natur zu bedienen, dabei immer an und über mein Limit ging und schließlich, mich selbst nicht sehend, selber zu einer vielschichtigen Baustelle, gleichsam einem pschychologisch- physiologisch- emotionalem Trümmerfeld erster Güte transformierte, waren auch die letzten, just verstrichenen, Tage intensiv bepackt und geeignet den unsäglichen Ausspruch „Ich bin nur der Fahrer!“ zu begründen; und sie waren doch ganz anders. Nur wenige Menschen kennen die Bedeutung dieser Formulierung und wissen um die rote Notfallleuchte über meinem Kopf, sobald ich diesen Satz benutze. Diese Menschen sind der innere Kreis für mich, der angerufen werden kann und selber anruft, so wie Bono einst gesungen hat „It´s no secret that a friend is someone who lets you help“, und doch werden die meisten von ihnen erst jetzt aufhorchen, weil sie sich der Bedeutung und ihres eigenen Wertes für mich gar nicht in dem Maße bewusst waren.
Und eben jener ureigene Notfallcode, jenes bewusst proaktiv versteckt offensichtliche SOS-Derivat ist nun selbst in Gefahr.
Folgendes trug sich zu: es begann als normale verschwitzt stickig heiße Arbeitswoche, jedoch unterbrochen durch einen Feiertagsdonnerstag, was meinen Freitag zu einem unüberbrückbar unverrückt nicht zu querenden Arbeitstag machte, analog zu meiner Lieblingsszene bei Gary Larson, in welcher zwei Bergsteiger in ein Tal hinabsteigen, nur um auf der anderen Seite gleich wieder hinauf steigen zu müssen, während der eine zum andern sagt „Weil keine da ist!“ . Genau mein Humor. Im Gegensatz zu diesem Freitag allerdings, den es dadurch anzupassen und zu modulieren galt.
Natürlich war diese Woche arbeitstechnisch vollgeknubbelt mit diversen Vorgängen unterschiedlichster Kulör, schließlich wollten alle Ihre Sachen „noch schnell eben“ bei mir abladen. Das war am Mittwoch nicht anders. Jedoch sollte hier -ganz privat und sehr persönlich- unsere Band ein paar Stücke anlässlich eines sehr privaten Geburtstages in Unna spielen, zum ersten Mal in abgespeckter technischer und personeller Montur, quasi als „schnelle Eingreiftruppe“ mit leichtem Marschgepäck. 19.00 Uhr sollte es losgehen, bis 18:00 Uhr musste ich mindestens arbeiten, außerdem noch umziehen und ca. eine Stunde Fahrt. Womöglich sollte ich mir doch „always late, but worth to wait“ als bumper sticker drucken lassen, das jedenfalls war von Anfang an, selbst für mich, knapp.
Wie mein persönlicher Obi Wan, der letzte Resilient meiner Einsatzzeit im ostwestfälischen Bad Kandahar, und klarer Teil des inneren Zirkels, bereits vor Wochen messerscharf kalkuliert hatte, hatte ich große Lust, meine neue alte Freundin mit zu diesem sehr persönlichen Event zu bringen, was angesichts ihres Heimatortes Kassel jedoch eine unlösbare Herausforderung zu sein schien. Tatsächlich setzte sie sich jedoch schnurstracks, herzerfrischend begeistert, begeisternd und unkompliziert in einen Zug, fuhr zwei Stunden bis zum Bahnhof Unna, wo ich sie abholte (pünktlich, liebe Freunde!). Wir hatten einen tollen Abend mit, natürlich, erstklassiger Musik, im Kreise ganz besonders herzlicher und netter Menschen. Wir brachten noch zwei Freunde in ihr Hotel, bevor ich sie, ganz Gentleman-like, nach Hause fuhr; es waren ja nur 150 Kilometer und sie hatte ganz klar was gut.
Zum Übernachten fuhr ich weiter zu meiner Mutter nach Hofgeismar, erneut knapp 25 Kilometer, wo ich um 4:30Uhr, der Sonnenaufgang kündigte sich bereits an, aufschlug. Gegen halb acht wachte ich, rücklings auf dem Gästebett liegend, mit den Füßen auf dem Boden, vollständig bekleidet und bei eingeschaltetem penetrantestem Baustellendeckenleuchtennacktfassungslicht, wieder auf und stellte fest, dass ein ordentlicher Kopfschmerz und ein schicker kleiner Wadenkrampf bessere Wecker sind als jeder werblich bepriesene, womöglich Meeresrauschen imitierende, Tageslichtwecker jedweden Herstellers. Welcher Tag ist heute? Und wo bin ich hier? Waren zähfließend lange Sekunden die einzigen Gedanken, die ich fassen konnte. Dann fiel mir der wahnsinnig nette Vorabend ein, und ich beschloss die zwei Schmerzarten als Gegenzahlung für die hervorragende Qualitätszeit zu akzeptieren, die ich empfangen durfte. An solchen Tagen passiert nicht mehr viel. Ich richtete meiner Mutter das WLAN ein, brachte Firestick und Netflix zum Laufen und machte mich auf die Heimreise.
Next Step also : Rückfahrt nach Attendorn, 160 Kilometer, oder zweieinhalb Stunden, wegen der Überlandfahrt. Schließlich musste ich Freitag wieder viel arbeiten, was ich dann auch tat. Herausforderung an eben diesem Freitag: die Kids wollen anschließend mit zu Oma, wo ich noch zwei Wände zu streichen hatte. Also erneut auf nach Hofgeismar, das damit dritte Wochenende, und, rechnet man den Donnerstag dazu, das vierte Mal in drei Wochen. Egal. Vereinbarter außerordentlicher und den Umständen angepasster Übergabeort der massiv chilligen teenage-igen geliebten Lebendfracht: Mäckes-Parkplatz in Schwerte, bewährtes Territorium und bestens geeignet, mittels der vom goldenen Doppelbogen angebotenen Convenience-Food-Derivate, den Magen der beiden zur Überbefüllung anzuregen und so den Serotoninaustoss zu befördern, was eine ruhige, entspannte Fahrt für Papa versprach.
Die Fahrt verlief gewohnt routiniert und friedlich, wir sind alle drei urban nomads. Als wir um Punkt 20:00 Uhr in Hofgeismar aufschlugen, fiel es mir dann allerdings bereits schwer, zu sagen, welchen der sieben zur Auswahl stehenden Wochentage wir hatten, aber da ja Vollmond war, war ich wach wie nach zehn Espresso-Shots und drei Stücken RedBull-Torte. Wir gingen mit der, ob der Ankunft der im Nachbarbundesland heimischen Enkelkinder messbar begeisterten, Oma, griechisch essen, das zweite Mal griechisch in zwei Wochen, und der Tag endete für mich ähnlich erschöpft auf dem Gästebett, doch diesmal vorausschauend betttauglich umgekleidet und kopfschmerzvermeidend präpariert.
Die alte Freundin, der diese, je nach Blickwinkel NICHT - oder aber SEHR - schmeichelhafte Bezeichnung mittlerweile absolut nicht mehr hinreichend gerecht wurde, habe ich am Freitag natürlich nicht mehr getroffen. Das nahmen wir uns für Samstag Abend vor. Dazwischen lagen nur das Streichen eines halben Oma-Wohnzimmers in „Basalt Grau“ mit weißer Bordüre und die geschickt ausgelagerte Granny-Bespaßung zweier digital native Teens .Null Problemo für eine motivierte Oma mit Attitude und Alexa! Hochwertige Farbe hatte ich in einer der letzten knappen Mittagspausen bereits gekauft, ebenso Klebeband, Klebevlies, kleine Rolle, große Rolle, Pinsel und was man sonst so braucht, Check! Natürlich kam es wieder anders als gedacht, doch Dank der Dixie Chicks und Frank Sinatra, lauthals und leidenschaftlich bei offenem Fenster nachbarschaftsbegrüßend begleitend intoniert von einem übernächtigten, Malerrollen schwingenden Special-Duty-Driver, war ich gegen 18:00 Uhr fertig. Aber auch am Ende, Fratze und durch.
Ich hatte noch eine von Oma ausrangierte Kommode zu meinem Bruder nach Kassel zu transportieren, dann wollte ich meine hinreißend impulsive Begleitung abholen. Geplant war, Ihre Freundin und deren „neuen Bekannten“ zu treffen, was in mir rumorend die zwangsläufige Frage aufwarf, ob ich denn nun auch diesen zweifelhaften Titel offiziell würde tragen können sollen dürfen müssen. Mann wusste es nicht und überließ der energischen Dame die Organisation, weswegen wir – wen wundert es – bei einem Griechen landeten. Ich stellte dies natürlich bei Facebook ein, wohl wissend, dass nun mein alter Wegbegleiter und Padawan aus der schwäbischen Alb zwangsläufig eine passende Bemerkung würde absetzen müssen die, nicht zuletzt seiner bevorzugten Ernährung, aber auch seiner immer wieder nachweisbar aufmerksamen Beobachtungsgabe geschuldet, von mir WÖRTLICH vorhergesehen werden konnte : „Griechische Woche?“
Wir beiden seit 30 Jahren bekannten alten Freunde, verbrachten erneut einen tollen Abend mit netten Menschen und gutem Essen, wurden wieder und endlich noch mehr zu den seit wenigen Wochen bekannten neuen guten Freunden, ich brachte sie zeitnah nach Hause, und schaffte es diesmal selbst, immerhin um 1:00 Uhr am Sonntag Morgen auf dem Gästebett bei meiner Mutter aufzuschlagen, während zwei sichtlich überfütterte und überbespasste Teenager das angrenzende wohnzimmerliche Schlafsofa erfolgreich auf ,vermutlich Breakdance-inspirierte, Schlafhaltungs-Kompatibilität überprüften und erfreulich relaxte Grunztöne von sich gaben. Die junge Nacht sollte nicht allzu lang werden.
Der weitere Plan sah nun ein Fussballspiel der unnötig verkopfend und sinnlos beschreibend verbal in die Länge gezogenen (wie kann man nur...) Kategorie „Leistungsklassenqualifikationsspiel“ von Junior vor, jedoch um 10:00 Uhr im 200 Kilometer oder zweieinhalb Stunden entfernten Solingen, was ein Aufstehen um spätestens 6:00 Uhr bedeutete, denn es galt vorher noch, das durchgetrocknete Basalt-Grau vom Abklebeband zu befreien und Omas temporär annektierte Rumpelbude wieder zur bewohnbaren geplanten Designikone zu machen. Null Problemo, once again! „Scotty, wie lang dauert die Reparatur?“ – „Mindestens sechs Stunden, Captain!“ – „Sie müssen es in fünf Stunden schaffen, Scotty sonst sterben wir alle!“ – „Aye, Captain Kirk, ich mach`s in zwei!“……….die Geschichte meines Lebens.
Wir verpennten alle, saßen um zehn nach acht zerknittert im Auto und ich drückte vorsichtshalber die "Sport" Taste auf der Mittelkonsole. Dank des neuen Autos und einer sonntagmorgendlich befreit dargebotenen Asphaltdecke gen Westen, waren wir erneut auf die Minute pünktlich am Sportplatz. Erstaunlich. Junior spielte furios auf, schoß mehrere Tore, bereitete grandios vor und ich konnte mir kaum das Grinsen vom Gesicht wischen.
Sehr zufrieden machte ich mich schließlich auf den Heimweg nach Attendorn. Ich war bis hierhin tagelang ohne nachzudenken unterwegs, hatte soviele mentale und logistische Spagate gemacht, dass vermutlich selbst Schiesser-Feinripp-Spezial Buchsen der Artisten-Edition verzweifelt das Garn gestreckt hätten. Doch eineinhalb Stunden oder 78Km reine Reflektion sollten ja noch vor mir liegen, denn ich verbrachte sie, zwar nur telefonisch verbunden, aber dennoch sprichwörtlich durch nichts als ein paar Funklöcher getrennt, mit meiner neuen alten guten vertrauten Freundin.
Und genau hier schließt sich der Kreis : "Ich bin nur der Fahrer!" war immer Sinnbild für das Zurückstellen der eigenen Sache, das Erkennen und Erfüllen scheinbar
höherer Ziele, wichtigerer Dinge als meiner. Immer bis zu eben jenem Punkt, an dem der eigene Körper und/oder Geist die nicht benötigten Systemteile abschaltete und den Notfall ausrief. Dies
geschah meist durch irgendwie geartete Fahrten quer durch die Republik, waren sie beruflich oder privat motiviert, Kurz- oder Fernstrecke. Und hier hatte SIE jetzt -klammheimlich, freiwillig und
ohne zu Zögern- diese Formulierung ad absurdum geführt, denn SIE, die impulsive, selbstbewusste, clevere Frau, kam selbstredend per Bahn nach Unna, SIE wartete am Samstag auf ein Zeichen von mir,
damit ich sagte, wann die Arbeit erledigt war und wir starten konnten, und SIE war voller Verständnis, dass ich bereits Sonntag Morgen die nordhessische Idylle in aller Herrgottsfrühe verlasssen
musste. Sie hatte meine zeitliche Anspannung durchschaut, mitgetragen und akzeptiert. Klamheimlich hat sie ihre eigenen Abläufe angepasst und zurückgestellt um MIR einen beruhigenden Teppich
unterzuschieben, auf den ich zurückfallen konnte, nachdem es geschafft war. Keine Forderung. Kein Anspruch. Nur der Wunsch, es gemeinsam hinzukriegen.Und ich hatte es natürlich bei all dem Tempo
verschlafen.
Ich glaube, da ist ein neuer Fahrer in der Stadt, aber der hier fährt einen heißen Reifen.
It´s no secret, I hope it`s someone who lets me help.