· 

Mein guter Stern unter Tage

Da sind wir wieder. Zeit für ein Statement. Sternchen ist zu Besuch. Nicht nur der erste Besuch bei mir, sondern der erste Kontakt mit dem Sauerland überhaupt und ich erinnere mich noch lebhaft an meine erste Konfrontation mit dem sogenannten gelebten Brauchtum und verbinde es mit der heimlichen Hoffnung die dadurch ausgelöste und seither tagtäglich frisch genährte posttraumatische Belastungsstörung möge bei mir irgendwann einmal austherapiert sein. Wie dem auch sei. Natürlich ist es jetzt mein oberstes Ziel, dass sie sich hier wohl fühlt, und sei es auch nur, weil ich weiß, dass dieses niedliche Sternchen „with the blink of an eye“ , wie Noel und Liam es formulieren würden, von der niedlichen Claire-Danes-Impersonifikation einer regionalen „Sternwanderer“-Neuverfilmung zum eher unentspannt glühenden Killersternabkömmling á la „Armageddon“ mutieren wird, sollte ich die nötige leidenschaftliche Hingabe beim Sekundärentertainment vermissen lassen. Also Sauerland for runaways, der Quick-Guide für temperamentvoll südländische Touristenwidder, das Romantikprogramm für alle frisch verliebten Teenager, bei denen der National Geographic-Channel ausgefallen ist. Hauptsache nicht halbherzig, denn mein Welpenschutz ist schon vor 28 Jahren abgelaufen.

 

Auf geht´s und wir landen … in der Atta Höhle, Attendorns Leuchtfeuer der Touristenattraktionen, der hell leuchtende Lichtblick zwischen den tendenziell eher vollrauschalkoholisierten lokalen Touristenmagneten Schützenfest, Karneval und Osterbrauch, den brauchtumsgeschwängerten Regionalablegern der deutschen Partymentatlität, ready for Instas Duckface wrapped in Karohemd. Wir haben gerade unsere Tickets erworben und flutschen ansatzlos direkt im Anschluss elegant vor einer unentschlossenen Kleinstfamilie noch so eben in die aktuelle Führung, gehen nicht über Los, ziehen keine 500 Euro ein. Es empfangen uns vorhergesagte 9 Grad Celsius, weshalb wir sicherheitshalber einen wärmenden Hoodie dabei haben, das Notfallbodypartcoverage für mein sommerdünnstofflich bekleidetes Sternchen. Bei den spärlich verhüllenden güldenen Flip-Flop-Gedächtnis-Schlappen kann ich aber leider nicht helfen, da muss sie durch. Dramatisch unentspannt werde tatsächlich aber ICH, als mich die unfassbare Luftfeuchtigkeit unter Tage erwischt und mir der Schweiß vom Körper rinnt wie bei Lindemann im „Sonne“-Video. Jetzt wünsche ich mir auch solche luftigen Treter,  die Zeiten sind ja nun mal leider allerdings vorbei. Da helfen selbst die 9 Grad nicht weiter, stelle ich fest. Aber da muss dann eben jetzt ICH durch.

 

Wir finden uns in einer bunten Truppe unterschiedlichster Nationalitäten wieder; Russen, Polen, Pakistanis, die üblichen Quotenholländer, ein lustiger Exil-Hesse mit liebenswerter türkischer Begleitung  und sogar mindestens ein Siegerländer, der obendrein auch noch die Führungsrolle hat. Er muss aus dem Siegerland sein, denn trotz aller Freundlichkeit spricht er die berühmten 0,23 Nanosekunden zu langsam, was einem normalen, eben nicht in fünfhundert Kilo zähfliessend geschmolzenen Haribo-Bären gefangenen Mitteleuropäer wie mir, den passiv akustischen Garaus macht. Wir erreichen den eigentlichen Beginn der Höhle und den Fuß einer Treppe, wo der Tourguide den nicht unerheblichen Eintritt zu rechtfertigen und seine erste einleitende Rede zu halten gedenkt. Er steht ganz oben, der Rest der illustren Tiefgängertruppe sortiert sich nach dem ungewürfelten Zufallsprinzip ungewertet stufenweise abwärts und steht auf den steinernen Stufen unmittelbar vor uns, was jeden in der Gruppe zwangsläufig in direkter Augenhöhe zum Hinterteil eines Vordermannes zum Stehen bringt. Aus meiner Position sehe ich, dass dabei nicht jeder eine Aussicht genießt, die ihn traumafrei in die Heimreise entlassen werden wird und wünsche einen gastroenteritisfreien Zwischenstopp.

Natürlich kann ich nicht an mich halten und muss davon ein Foto machen, was mir sofort eine siegerländer Rüge einbringt, da Fotografieren in der Höhle verboten ist, was ich allerdings in bundesweit üblichem Durchschnittstempo mit einem „Sorry, kommt nicht wieder vor!“ quittiere, eine akustische Reaktion, die ihn, ob seines eigenen Sprachtempoverzuges, vermutlich noch vor Beendigung des eigenen Ausspruchs bereits als Antwort erreicht haben mag, ein eines Gene Roddenberry würdiges akustisches Paradoxon. Der Mann ist sein eigener Doppler-Effekt. Registriert habe ich in meiner mir eigensten, durchgeschwitzt neugierigen Besserwisserart aber auch, dass hier erstens noch nicht die Höhle ist, zweitens das Fotografieren aus rein ästhetischen und Umweltgesichtspunkten untersagt ist und mir drittens nicht die Nutzung des versehentlich gemachten Bildes untersagt wurde. May the force be with me, denn um die Höhle geht es mir darauf eh´ nicht.

 

Es folgen 30 ,natürlich fotofreie, verschwitzte Minuten unter Tage, umgeben von, der deutschen Sprache und damit des begleitenden Vortrages zu lauschen unfähig, schnackenden Hollanders und palavernden Pakistanis, angeführt von einem engagiert kreativ freundlichen Tourguide, der uns eindringlich und  plastisch die Gefährlichkeit seiner durch Sauerstoffarmut geprägtem regelmäßigen Arbeitsumgebung vor Augen führt und diverse Gründe dafür liefert, warum er, ähnlich dem gewöhnlichen albinistischen Grottenolm (übrigens will nicht mal der hier heimisch sein), nicht so oft ans Tageslicht darf. So führt er uns zunächst vor einen ansehnlich gewachsenen Stalagmiten, einem in zehntausenden Jahren lustig von unten nach oben gewachsenen Stein, in dem er allerdings ein Schloss nach Art Neuschwansteins sieht, was der verständige Teil unserer temporären Glaubensgemeinschaft mit einem verzückten "oh!" quittiert. Wir kommen um die Ecke einer Biegung, wo er uns kurz darauf einen ansehnlich gewachsenen Stalagtiten zeigt, einen in zehntausenden Jahren, diesmal lustig von oben nach unten gewachsenen Stein, in welchem er einen Kronleuchter erkennen will, was schon deutlich weniger Teilnehmer, dafür aber  verzückt mit einem "ah!" quittieren. 

Während ich noch grüble, was er so wohl an Medikamenten nimmt und ob die Holländer vielleicht hier sind, um ihn mit Nachschub zu versorgen, erreichen wir einen ansehnlichen Stalagmaten, einen konsequenterweise diesmal beidseitig von oben und unten in zehntausenden Jahren lustig zusammengewachsenen Stein, in welchem er, ich weiß es nicht mehr, es war  irgend etwas Essbares, erkennen will. Diesen Teil der Höhle nennen sie die „Vorratskammer“ erklärt er uns und zeigt auf den „Knochenschinken“, den „Rettich“, den „Spargel“ und diverse andere, offenbar halluzinogenimmanent getragene Nahrungsmittel, die vermutlich nur er sehen kann, während die unverständige Multi-Kulti-Truppe unverständig auf Steine stiert wie George Clooney dereinst in „Männer die auf Ziegen starren“. Ich frage mich, ob die Steine auch zu ihm sprechen und hoffe, dass die Stromversorgung hier unten noch hält bis wir raus sind, denn Licht ist gerade eine sehr beruhigende Sache.

 

Zu meinem Glück ist meine Mrs. Stardust schwer begeistert und saugt die intensive Atmosphäre bereits genussvoll auf, was mich ebenfalls zusehends mehr entspannen lässt. Als wir uns dem Ende der Führung nähern, erreichen wir noch Kunibert, offensichtliches Highlight und Maskottchen der Atta-Höhle, einen unansehnlich, vermutlich mit Hilfe von Mikrowellen, geschmolzenen Steinpfropfen, der in zehntausenden Jahren lustig in wer-weiß-welche Richtung gewachsen ist und in dem alle Beteiligten nun einen Zwerg zu sehen haben. Was immer der Mann nimmt, ich will das Zeug auch, beschließe ich. Wir verabschieden und bedanken uns höflich und machen uns an den Aufstieg zurück ans Tageslicht, dabei sprechen wir ein stilles Gebet für die arme Seele, die ihr sauerstoffarmes Leben hier im Untergrund der Gesellschaft verbringt und dabei doch nur Gutes will wie Edgar Friendly in „Demolition Man“.

Der Ausgang haut uns 27 Grad und strahlenden Sonnenschein um die Ohren, macht keine Gefangenen und intoniert alles mit schreienden Kindern, Hundegebell und einer lärmenden Abordnung des überwiegend beblechten örtlichen Spielmannszuges, denn heute ist ja Schützenfest. Attendorn hat uns also wieder und während ich noch überlege, wohin ich meinen shining Stern des Südens als nächstes ausführe, posiert sie schon gekonnt für das obligatorische Touristenbeweisfoto nach japanischem Vorbild vor dem dramatisch inszenierten Wasserfall der saftig grünen Außenanlage. Hoffentlich gibt´s hier keine Fluginsekten, denke ich noch.