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Innerstes Waldbaden

Da sind wir wieder. Zeit für ein Statement. Es ist früh am Morgen und ich wische mir noch den restlichen Schlaf der viel zu kurzen lonely night aus meinen rehbraunen Kulleraugen, während mir meine Tassimo die erste Jacobs Dröhnung des Tages kredenzt und langsam, aber sicher wieder ein paar Lebensgeister in den 27-Jährigen pumpt, der im Körper eines 48-Jährigen gefangen ist. Natürlich plärren meine treuen Begleiter vom ARD MoMa schon wieder emsig gut gelaunt durch meine Bude, während mein Hirn noch in Stahlwolle gepackt zu sein scheint. Die Tagesschau ist gerade durch und ich habe nicht ein Wort ernsthaft wahrgenommen, fürchte ich, während ich einen weiteren tiefen, verzweifelten Schluck simplen Mainstreamkaffee nehme. „Ein Männlein steht im Walde“ scherzt der Prinz-Charming-Derivat-Moderator angestrengt locker, und die Schalte ins nicht weit entfernte Arnsberg steht, wo der grinsende Wetterfrosch Donald mitten auf einer offensichtlich ehemals typisch sauerländisch bewaldeten Rumpelfläche zu sehen ist, umringt von Baumstümpfen, Astresten, eben allen möglichen wooden leftovers und einem freundlichen Hutträger, Sorte „Förster unarmed“. Langsam werde ich wach. Was zum Geier tun die da?

Als Vorgeplänkel zur obligatorisch beckerschen Isobarenkarte hat man sich offenbar heute entschlossen, den Zustand des deutschen Waldes zu thematisieren, und schon beginnen die beiden, mich mit langjährig einstudierten Fachausdrücken vom Penetrantia Nerd College zu bewerfen, die an meinem vorderen Stirnlappen aber mal so was von geschmeidig abprallen, dass es eine Freude ist, denn ich bin, ich sagte es, noch überhaupt nicht ansatzweise auf mittlerer mentaler Flughöhe. In letzter Zeit wälze ich auch nachts immer mal wieder stundenlang positive Grundsatzthemen wie „Vertrauen“, „Liebe“, Hoffnung“, aber gerne auch die andere, die dunkle Seite der (Ohn-)Macht von „Gewohnheit“, „Erwartung“ und „ist schon gut“. Denn wie wir alle wissen, ist das Gegenteil von „gut“ nicht „schlecht“, sondern „gut gemeint“. Und so sind meine Gedanken eher noch im endorphinfreien Spannungsfeld zwischen den vergangenen katastrophal-emotionalen Monaten und dem derzeitigen zuckersüß-positiven Chilistaub-Sternenkosmos, in welchem ich ungläubig rosarot vor mich hin staunend treibe, als in Donnys Wald.

Und so kommt es, wie es kommen muss, mein Hirn wechselt die Frequenz und macht die Welt, widde, widde, wie sie mir gefällt. Die Parallelen zur Forstwirtschaft sind zu offensichtlich, und das nicht nur, weil schon wieder am Waldesrand ein haariger, preiselbeerloser, paarbehufter Quereinsteiger unvermittelt bei Kilometer 0,5 einmalig und für ihn endgültig meine Flanke traf und ich seitdem noch mehr als schon vorher hinter jedem noch so hübschen Baum Ripleys Nemesis vermute. In meiner Vergangenheit habe ich nämlich schon so manchen Flachwurzler kennen gelernt, der sich, an der Oberfläche scheinbar völlig harmonisch an mich geschmiegt, unter der Oberfläche ohne jeden Tiefgang radikal in der Fläche ausbreitete und mir die Luft abschnürte.

Geprägt hat mich aber auch die eine oder andere klassisch entfaltungsgebremste Monokultur, konservativ erwartungsvoll auf materielles Wachstum ohne fsc-Standards getrimmt und letztlich zu Fall gebracht wie durch Kyrill Reloaded. Oder auch das klassische Bild vom standardisierten deutschen Exzellenzmischwald, letztlich aber nach vielen Jahren des Wachstums doch nur von der Straße aus gesehen gut im Wachstum, und abseits der Straße längst ungewollt und tragisch dem Verfall preisgegeben.

Aber es waren auch wunderschöne, ebenmäßig glatte und außergewöhnliche Persönlichkeiten mit toller Oberfläche dabei, mit denen ich mich gern zeigte, deren schmuckes Auftreten auch mich schmückte und scheinbar aufwertete wie ein Hintergrundbild vom Indian Summer in Maine, die sich am Ende aber doch nur als wenig symbiotisch in die Rinde gebohrte Predatoren-Pilze entpuppten, die ihren Wirt aussaugen, hochwürgen und irgendwann ausgespuckt liegen lassen, während sie sich narzisstisch nach einem neuen Spielplatz umsehen.

Donald und John Boy haben mittlerweile im MoMa-Einspieler doch den Schwenk zur Wetterkarte vollzogen und die Baumleichen werden zum stummen Background Motiv degradiert. Ich nehme einen weiteren Schluck aus meiner „Every day we make it, we make it the best we can“-Tasse und muss kurz an den längst vergangenen Fernsehbericht von vor zwei Wochen denken, der sich mit den aktuellen deutschen offiziellen Kaffeeregeln und –gesetzen auseinandersetzte und seit dem ich weiß, dass MEIN Kaffee zu zehn Prozent aus .bei der Produktion übrig gebliebenen, Ästen und Blättern besteht, was die Produktionskosten des Hersteller senkt, aber eben auch geschmacklich immanente Suboptimierungsteilchen in sich trägt.

Ach ja, sinniere ich vor mich hin, alles weiß Donald nun auch nicht. Ich hab` ja auch schon des Öfteren den stabilen Ast abgesägt, auf dem ich komfortabel saß und es mir selbst dann als notwendige „Konsequenz“ verkauft, nicht wahr? Und war ich nicht selbst auch schon längere Zeit mal so sehr darauf fixiert, mich nach oben zu orientieren, mein Leben nach der Sonne auszurichten und in der Baumkrone zu verbringen, dass mein Umfeld am Ende aussah wie diese Brachfläche im Arnsberger Umland? Und warum unterstelle ich mittlerweile grundsätzlich jedem positiven Zwischensignal, jedem morgendlichen Sonnenaufgangsszenario und jeder zwischenmenschlichen Positivität und Harmonie, dass irgendwo der sprichwörtliche Borkenkäfer bereits unter der Oberfläche seine Mantibeln in mein Coronarfleisch drückt?

Noch ein Schluck Krönung, dann stutze ich. Der Hutmensch schafft mich, aber er hat bestimmt noch seinen Hund, denke ich. Aber vielleicht ist das alles auch notwendige Konsequenz at ist best. Vielleicht reichte es eben doch nicht aus, mich zu verpflanzen, vielleicht MUSSTEN sie mich brandstiften, vielleicht blieb keine Wahl als zu brandroden um eine Grundreinigung zu schaffen, eine saatbereite Fläche, unvoreingenommen, klar im Anspruch und mit einer geistigen Reife (ok, vergesst es…) und Tiefe (Liebt ihr auch „Taladega Nights?“) die mich schließlich hierher gebracht hat. Vielleicht ist es erst jetzt für mich möglich, echte Tiefwurzler wahrzunehmen und Grundierung zuzulassen ohne an Fracking zu denken. Letztlich ist nur wichtig, das Dir keine Nihilisten auf den Teppich pissen, wusste schon der "Dude". Der Deutsche Wald war tot, als ich jung war. Ich bin, aus meiner Sicht, immer noch jung und er lebt wieder.

Mal sehen, es könnte alles gut werden, ich werde zur Abwechslung mal die Augen aufhalten.