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The Roadtrip - Part 2

Der Kunstautomat von Waren
Der Kunstautomat von Waren

Da sind wir wieder. Tag zwei des Roadtrip und Kapitel Nummer DREI für alle unaufmerksam eilig Durchhuschenden. 

 

Wir wachen auf in einer rustikalen Herberge, unserem eigenen Gutshof mit Schloss, Feldsteinhäusern, Park und Taubenhaus. Keine fünf, keine vier, keine drei Sterne. Eine einfache, ehrliche Herberge. Junior nennt es 'höherwertiges Campen', was dann aber doch etwas hart ist. Wir ost- öffnen die verschlafenen Augen in einfachen, schmucklosen Kiefernbetten, hier is nix mit Prinzessin auf der Erbse to be Boxspring Tüdelü. Die weiche Bettdecke ist dünn, aber warm. Die baumwollenen Laken sind nicht jungfräulich, aber pieksauber und riechen gut. Die Wohnung ist angenehm temperiert, die wertigen Isolierglasfenster halten zuverlässig alles draußen, was nicht rein gehört. Und so kommt es, daß wir alle drei, gestern Abend noch hin- und hergerissen zwischen milde lächelnd und böse kommentierend ob des Sammelsuriums an Röhrenfernseher, Dunkelglühlampe und offenkundig selbst verkabeltem Einfachstherd, bestens ausgeruht sind. Wir haben ALLE tief und fest geschlafen, so bequem wie lange nicht, so erholsam wie dringend nötig und einfach großartig. Draußen plärrt kein Mofa, rumpelt kein Anhänger über die Gehwegbegrenzung und hupt niemand rücksichtslos grüssend vom Verkehrskreisel. Nur Vögel zwitschern, und irgendwo ziehen viele, viele Kraniche am Himmel vorbei. Welch ein herrliches Orchester. 

 

Egal, ob uns das Rüsselsheimer DeLorean-Derivat tatsächlich in der Zeit zurück geschossen hat, irgendwann gestern auf der A19. Aber wir wurden gerade zwangsweise schlagartig entschleunigt und abrupt zum lang vermissten Halten genötigt, und zwar butterweich, himmelszart und in Form völlig unspektakulärer Federkerne, ohne Geleinlage, Memoryschaum und Smart-Topper. Dies ist nach allen Gesetzen der Marktforschung, des kapitalistischen Lebensbildungsziels und der selbstanerzogenen 'schneller, höher, weiter' - Mentalität offiziell gar nicht möglich, aber hier sind wir. 

 

Mitten auf dem grobstmöglich bepflasterten repräsentativen Hof unserer Gutsanlage steht ein respektables Taubenhaus, sicherlich vergleichbar mit so manchem kleineren Einfamilienhaus in gedrängtem Ballungsgebiet. Dort ist das Hofcafe untergebracht, ein bekannter Anlaufpunkt und Quell selbstgemachter Kuchen und leckerster Torten. Und genau dort, und zwar NUR dort funktioniert WLAN. Na sowas, Kids.... hatte ich eigentlich erwähnt, dass das Taubenhaus  nur am Wochenende auf hat? Sorry, heute ist Mittwoch. 

 

Und so passieren schließlich seltsame Dinge. Wäre ich nicht selbst dabei gewesen, ich hätte sicher nicht ohne äußere Zugabe von aktiv rezeptorenhemmenden Psychopharmaka mit Sonnensymbol auf der Packung (oder wenigstens etwas zu Rauchen) daran geglaubt. I want to believe, Mulder! Wir sitzen zu dritt gemeinsam über einer papiernen Landkarte, studieren meine vorselektierten und mit albernen Post Its hervor gehobenen Marco Polo Einträge, wertvolle Highlights und reichlich Insider Tipps der Umgebung, und planen den Tag. Dabei sprechen wir so viel, daß es eine Freude ist. Ich habe schlaue und witzige Kinder, großartige wanna-be's, die mein Leben bereichern. Und jetzt laufen sie zur Hochform auf, denn es gibt keine Smartphone Dominanz, es piept nix, es klingelt nix und die äußere objektive, neuartige altbekannte Welt ist nicht wegwischbar. 

 

Wir starten in den Tag und benehmen uns wie Touristen. Wir frühstücken am Hafen von Waren, in der strahlenden Sonne und unter Möwengekreisch direkt an der Müritz und amüsieren uns gemeinsam über die Kellnerin, die uns um 10.32 Uhr als erstes darauf hinweist, dass Frühstück nur bis 10.30 Uhr geht. Sie hat vermutlich 'Falling down' nicht gesehen, kapituliert dann aber schließlich doch angesichts unseres freundlichst eingeleiteten und offenkundig unabwendbaren Hinsetzvorganges. 

Wir genießen den herbstlichen Tag zwischen all den Zugereisten dann doch sehr individuell mit einem Automaten- Auszug voller Kunst, einem gigantischen pinkfarbenen plüschigen Einhorn, welches vermutlich in Mittelerde ob seiner Größe eine eigene Postleitzahl bräuchte und genau deshalb einfach mit muss, und einem auffällig unauffälligen Verhalten. 

Gegen Abend beschließen wir, einen hiesigen Ex-Konsum, einen modernen Supermarkt aufzusuchen und zu Hause zu essen, schließlich muss ja jemand den Herd testen. Das überwiegend westlich geprägt übergestülpte Warenangebot wird nur gelegentlich unterbrochen von resistenten Ostprodukten mit Kultcharakter und kaptalismusnegierender Fangemeinde, Mürli, Club Cola und Bambina Schokolade sind leider die rar gesähte Ausnahme und machen Mäc Pomms Edeka austauschbar wie Bottrop und Wanne-Eickel. 

Oder doch nicht? Als wir an der Kasse stehen, die ausgesprochen hübsche, freundliche Kassiererin scannt flott und voller Elan unseren spärlich und offensichtlich touri-geprägten Junkeinkauf, will sie schließlich von mir : Bargeld oder Karte!  Ich schaue die Kids an. Diese schauen fassungslos und ebenso wortlos zurück. Keine Treuepunkte, keine Samnelherzen, kein Payback? Warum fragt sie nicht? Der Einkauf erscheint unvollständig, das Shopping Event gestört, der freudegenerierende Erwerbsprozess ungewohnt unterbrochen. 

 

Ich reiße beherzt die Initiative an mich : 'Geht hier Payback?' frage ich höflich nach. Die nun folgende Reaktion erschüttert mich dann doch unerwartet bis ins Mark. Meine Kinder schauen erst erstaunt, dann ungläubig, später am Abend glaube ich sie leise in ihre Kissen weinen zu hören. Denn die Kassiererin hier in Waren, in Mäc Pomm im Jahre 2019, sagt : NICHTS. 

Leere Augen starren mich an. Sie ist völlig regungslos. Ganz zweifellos hat noch niemand hier diese Frage gestellt. Sie versteht weder die Worte, noch Satzstellung, Fragewert oder Inhalt. Sekundenlang ist es still, man hört das Thermopapier in der Digitalkasse leise knistern. Vielleicht habe ich den falschen klingonischen Dialekt angewendet oder Vereisungsspray versprüht? Sie rührt sich immer noch nicht. Als ihre Lippen beginnen, den Anfang von 'da muss ich jemanden fragen' zu formen, komme ich ihr zuvor, bezahle rasch und gehe. 

 

'Was war denn mit der los?' will Junior wissen, und seine Schwester schiebt rasch ein 'das ging ja gar nicht!' hinterher.

 Ganz ehrlich? Ich glaube, hier ist alles noch ganz ehrlich. Wie unsere Betten. Und ich finds toll. 

 

Huey Lewis könnte ausklingend 'back in time' anstimmen, als wir vom Parkplatz rollen, aber Spotify kannste hier knicken. Edeka hat gar kein Taubenhaus. Morgen geht's weiter.