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The Roadtrip Part 3

Alles unter Wasser
Alles unter Wasser

 

Da sind wir wieder. Tag 3 auf dem herrlich rustikal kargen Blücherhof und mitten in Gods Great Country, Mäc Pomm. Diesmal sollte alles mal wieder ganz anders kommen, Karma is a bitch und Gott definitiv eine Frau mit einem verqueren perfiden Humorderivat, das wir Männer in dieser Ausprägung so einfach nicht haben. Isso.

 

Was los war? Wir drei Zugereiste kennen uns schon ganz gut hier aus, haben einiges gesehen, schlafen großartig und haben toll gegessen. Damit wird es Zeit, das Ländliche seinem sagenumwoben segensreichen Dämmerschlaf vorrübergehend zu überlassen und uns die notwendige Zeit zu nehmen für einen inspirierenden Städtetrip. Zur Wahl stehen a) Schwerin, b) Rostock und c) Neubrandenburg. Alle gut erreichbar, alle interessant genug, um im Marco Polo Reiseführer mit gutem Grund ausführlich erwähnt und mit mehreren Sternchen oder Ausrufezeichen in den Fokus gerückt zu werden.

Neubrandenburg kenne ich noch aus einem gequälten Kundentermin von früher, aus meinen Zeiten der Arbeit für die Presseversorgung, aus der mein nachhaltig gestört gespaltenes Verhältnis zu Redakteuren (noch vor Ingenieuren aber immer noch klar hinter Lehrern) stammt. Und an Rostock bin ich schon mehrfach vorbeigefahren, ohne dass selbst der wirklich talentierte Marteria mich zum Stoppen gebracht hätte. Also Schwerin, entscheiden wir. Vorher noch zwei, drei geplante Zwischenstopps entlang der Strecke, streng nach Marco Polo Kriterien, das wird großartig! Dachten wir jedenfalls.

Wir rollen gut gelaunt vom Hof, heute habe ich mir mal die schwarze Büffellederjacke angezogen, die gelbe Softshell kann angesichts des strahlenden Wetters mal an der Garderobe bleiben. Wenn man sich fühlt wie der ältere Marlon Brando, kann man sich wenigstens anziehen wie der junge. Unser erster Stopp führt uns nach Kuchelmiß (wohin??) wo ein Insidertipp auf uns wartet, ein genialer gepriesener Hofladen am Rande eines wunderschönen Naturschutzgebietes mit allerlei käuflich erwerbbaren Leckereien. Nur hat denen das scheinbar keiner gesagt. Formulieren wir es positiv, schließlich habe ich Urlaub: die Parksituation war hervorragend und der Laden lief energieressourcenschonend im Stand By. Also weiter.

"Wir sollten irgendwo noch tanken.." sinniere ich vor mich hin, wir haben noch 50 Km Restweite, sagt das Display. Junior fügt das Zwischenziel "Tankstelle" zu unserer Route hinzu und wir kommen kurze Zeit später, nach Tagen der Abstinenz, auf eine echte, unbebaustellte, offene Autobahn nach Norden. Nun sind ostdeutsche Autobahnen, vor allem offenbar hier oben, durch drei Merkmale geprägt : sie sind wie NEU, sie sind SCHNURGERADE und sie sind...LEER! Also, warum nicht mal den Hobel etwas übers Brett fliegen lassen, die alte Kutsche durch die leere Pampa jagen?

In dem Moment kachelt eine, böse, tiefe, laute Mercedes A-Klasse neueren Baujahrs, offenbar mit ähnlichen Gedanken oder aber auf der Jagd nach orientierungslosen Touristen wie uns, an uns vorbei. Ein kurzer Blick nach hinten: Töchterchen chillt bei netflix und hat die Aufmerksamkeit vorrübergehend eingestellt. Kurzer Blick zu meinem Beifahrer: stummes Nicken. Auf geht´s.
Kurze Zeit später wird ein Mercedes Fahrer von einem Opel kassiert und geht vermutlich leise weinend hinter herunter gezogenem Wellblechtor seinen Stern polieren. OK, wär´s ein AMG gewesen, hätte ich meinen Platz am unteren Ende der Nahrungskette natürlich klaglos wieder eingenommen, aber so war`s auch mal schön. Machen wir ja sonst nicht.

 

Die nächste Ausfahrt müssen wir raus. Tanken steht immer noch auf dem Plan. Nach einigen wenigen Kilometern durch dichten Wald kommt schließlich die geplante Station.  Das Navi hat sauber gelotst, alles passt. Ich parke entspannt vor der Zapfsäule und schnalle mich ab. Genug Zeit für Schwerin. Und das Autobahnstück war geil!

Dann: wo ist eigentlich mein Portemonnaie? Panik überfällt mich. Ich scheuche die Kinder herum, alle suchen wir jeden Winkel des schlagartig unüberschaubar groß gewordenen Wagens ab, Jacken, Taschen, auch unter dem Sitz, im Kofferraum...NICHTS!

Ich habe noch nie mein Portemonnaie vergessen. Ich bin seit Jahrzehnten viel allein unterwegs und weiß, was das heißt. Meine beiden um Hilfe ersuchten Mitreisenden bestehen derweil darauf, dass sie ob ihres Alters gar kein Geld bei sich führen müssten und überhaupt müsste man mal über ihr Taschengeld reden. Von dort ist keine Zwischenfinanzierung zu erwarten.

Spock pflegte zu sagen: "Wenn alle logischen Möglichkeiten ausscheiden, muss, egal wie unlogisch es ist, die verbleibende Lösung die richtige sein." Sollte das hier passiert sein? Haben wir eine Quantensingularität in einem überwürzten Broiler entdeckt? Gelang mir unbeabsichtigt der Nachweis, dass das flackernde Licht im Kühlschrank tatsächlich ausgeht, wenn man die quietschende Tür zu macht? Sollte tatsächlich ICH uns in diese dumme Situation gebracht haben? Die Blicke der Kids sagen alles. Yo, Bro!

 

Na dann. Ich habe uns da reingebracht. Ich hole uns da raus. "Wir verlieren nicht! Entweder wir siegen, oder wie lernen!" alter Marines-Spruch, kommt gleich nach "semper fi" und so...ist auch egal.

Lagecheck: das Portemonnaie muss sich zuhause befinden. Laut Navi sind es 34 Kilometer, bei "eco-Tour Modus", also im Wesentlichen die kürzeste, nicht aber die schnellste Strecke, diesmal scheidet die Autobahn aus, wir wären eh` nur eine sitting duck. Die Reichweitenanzeige des Tanks gibt 44 Kilometer an. Macht also zehn Kilometer für die Fahrt vom Blücherhof zur nächsten Tankstelle. Das sollte reichen, oder? Ich habe nirgends auf der Strecke eine einzige Tankstelle gesehen. Egal. Alternativen gibt’s nicht. Zur Not rufe ich den ACE. Vielleicht kommt einer, ist ja quasi Ausland hier, denke ich.

Wir sehen uns an. Jetzt wird’s spannend. Ich verlasse die rettende Tankstelle und schwimme wieder hinaus ins offene Meer, getrieben von einem trüben Fünkchen spärlicher Hoffnung, einer kleinen Chance, ohne Blessuren und Peinlichkeit aus dieser Nummer heraus zu kommen. Bislang wissen es nur die Kinder, und die halten dicht.

Ich stelle das Fahrwerk auf „Tour“, dann schaltet es früh hoch, hält die Gänge länger und spart Sprit. Dazu nehme ich den adaptiven Tempomat, arretiere ihn auf Tempo achtzig, was mir eine gute Mittellösung erscheint. Wir schalten Klimaanlage, Sitzheizung und Radio aus, um Sprit zu sparen. Jetzt könnten wir höchstens noch die Außenspiegel anklappen, um aerodynamischer zu werden, mehr geht nicht. Vielleicht kriege ich so noch ein, zwei Kilometer mehr hin, denke ich.

 

So gleiten wir, das schwarze Ufo aus dem Westen, wie ein zweitaktgetriebenes schleichendes Rentnergefährt, wie orientierungslose Holländer auf der linken Spur oder apathisch nicht-hochschaltende Hutträger mit Wackeldackel, durch die ostdeutschen Niederungen, und machen uns fast in die Hose. Noch für 30 Kilometer Sprit und 20 Kilometer Strecke bis zum Hof. Jetzt noch 25 und 15. Wir zittern alle drei mit, verfolgen genau die Anzeigen, verfluchen jeden ausscherenden Traktor, der uns zum Überholen und damit Gas geben und Sprit verbrauchen, zwingt.

Plötzlich färbt sich das Display rot und statt einer Tankanzeige, auch statt einer Restreichweite steht da nur fett, rot und bedrohlich leuchtend: „Kraftstoff kritisch“. Ab jetzt hilft nur noch zittern und schätzen.

Als wir schließlich, mehr oder weniger in Angstschweiß gebadet, nach einer guten halben Stunde , die uns wie eine Directors Edition aller drei Teile von „Herr der Ringe“ vorkommt, am Hof vorfahren, läuft sofort das abgesprochene Uhrwerk: die Kids stürmen die einsame Wohnung und fahnden nach dem verschollenen Portemonnaie, während ich das Navi auf die Jagd nach der nächstgelegenen rettenden Tankstelle schicke. Wo zum Teufel tanken denn die ganzen Traktoren und Landmaschinen? Ich finde schließlich eine in 13 Kilometer Entfernung. Wir dürften noch für zehn Kilometer Sprit haben, vielleicht elf. Da kommen die Kinder, in ihrer Hand mein Portemonnaie. Es war –tatsächlich- in der gelben Softshelljacke. Egal, nützt nix.

Ich frage kurz in die Runde, ob jemand zu Hause bleiben möchte, immerhin könnte es sein, dass wir liegen bleiben. Naja, es ist sogar sehr wahrscheinlich, dass es dazu kommt. „Nee, vielleicht müssen wir ja schieben!“ schallt es mir entgegen und ihr Sicherheitsgurte rasten wie zur Bestätigung klickend ein. Tolle Kinder.

Wir rollen also los, langsam, spritsparend und fast nur von Schwerkraft und Newtonschen Gesetzen angetrieben. Nach der ersten Kurve springt das Navi um: Entfernung bis zur Tankstelle: 23 Kilometer! Ich stoppe. Was zum Geier ist passiert? Luftlinie kontra Fahrtstrecke vielleicht? Die Lösung ist schnell gefunden, es ist wieder die alte Umleitung wegen der Brücke am Kieswerk, das kennen wir schon von Dienstag Nacht.

Wir sind mächtig angespannt und rollen wie auf Eiern durch die Mecklenburgische Spätherbst-Prärie. Überdrehte Weinbergschnecken belächeln uns leise und setzen überlegen zum Überholvorgang an. Wir sind wie Hase und Igel, nur ohne Hase. Ein bisschen wie ein nordrhein-westfälischer Kriechwurm im abgeregelten Tai Chi Modus.

Schließlich erreiche wir tatsächlich eine Tankstelle, während der Tank einer seit Jahren ausgedörrten Wüstentränke an Feuchtigkeit in nichts nachsteht. Vermutlich staubt es schon unten im Gefährt. In meinen 60-Liter-Tank tanke ich 60,490 Liter und atme erleichtert auf. Wir klatschen uns ab. Geschafft!

Die ungewollte Teambuilding-Maßnahme hat uns wieder einmal mehr zusammen gebracht, spannend  war es auch noch. Es ist mittlerweile zu spät, um uns auf den Weg nach Schwerin zu machen. Wir bleiben wo wir sind. Nein, wir bleiben wo wir w.a.r.e.n, In Waren. Wieder gibt es leckeres Essen und wir verbringen zwei spannende Stunden im Müritzeum, das so gar nicht auf unserer to-do-Liste stand.

Ganz ehrlich? Hätte nicht besser laufen können. Mal sehen, morgen ist auch noch ein Tag.