· 

Du gommsd hie ned rei

Da sind wir wieder. Zeit für ein Statement. Es ist Samstag, Qualitätszeit mit Sternchen und Töchterchen, ausnahmsweise mal zu dritt. Heute sind wir etwas fremdgesteuert, denn unsere Plettenberger Band wird mit den Vocal Kids aus Plettenberg zusammen den Plettenberg Song an einer Plettenberger Schule zum besten geben. Die Kinder singen den eingängigen Refrain, ich die hinlänglich bekannten unspektakulär gedichteten Strophen und unsere bühnenreif aufgebrezelten Jungs sind wie immer wegen des notwendigen Schusses Qualität, Professionalität und natürlich der unvergleichlichen Optik vor Ort. Sprichwörtlich ein Kinderspiel, dieses Heimspiel, denke ich und bin ein mustergültiger Ausbund gelebter Relaxation.


Um 17.30 Uhr schlagen wir drei auf, die Band ist schon da. Genau wie geschätzte fünfzig aufgeregt umherlaufende Kinder mit circa eins Komma fünf statistischen Eltern pro Kopf (Kategorie 'lass uns lieber etwas früher da sein') sowie einigen involvierten und furchtbar wichtigenLehrkräften. Wir huschen durch den geräumig geräumten Eingangsbereich der Schule.
Am Zugangsportal zur Aula passt mich einer der fleißigen Hobby-Türsteher ab, ein wahrscheinlich mangels erfülltem Eigenleben tatsächlich freiwillig angetretener Überzeugungs-Hausmeister mit unausgelebten Dominanzphantasien und vermutlich mindestens einer 'nur-für-den-Fall' - Ducktaperolle im heimischen (in fünfzig Schattierungen Grau gestrichenen) Schlafzimmer, ein Mit-Fünfziger mit Ohrring, dessen böse eindringlicher Blick auf eine fundierte Ausbildung vor Hamburgs Ritze und ein oder zwei überschminkte Tränentattoos vermuten lässt.


"Bist Du Musiker?" raunzt er mich unflätig an und versucht zwischen mich und die Tür zu kommen. Ich gehe in Gedanken meine wild verflochtenen Verwandschafts- und Freundschafts-Beziehungen durch, klopfe die Primär- und Sekundär- Schleifen dessen ab, was meine Mutter den 'Durchgangsverkehr' nennt, checke gedanklich alle Kunden und deren viel wichtigere Sekretärinnen, außerdem Kollegen und Spielereltern meiner Kids.... NOPE. Dich kenne ich nicht, aber du duzt mich.

 I love it. Wirklich.

"Hier dürfen ab jetzt nur noch Musiker rein!" poltert er nach-, auf-, und eindringlich, während mehrere flinke quietschige Kinder hinter mir durch den Türschlitz behende in die dunkle Aula schlüpfen, ähnlich wie gelöste Kohlensäure durch scheinbar festes PET diffundiert. Die ruhmreichen Zeiten, in denen ICH behende irgendwo durchschlüpfte, sind ne ganze Weile her, also bleibe ich.


"Bist DU Musiker?" pfeift er mich mit zusammen gekniffenen Augen an und ist drauf und dran, mich am Arm zu packen. "Der da -" Ich zeige auf Holli, unseren Guitar Hero "Der da - sagt NEIN." entgegne Ich und verkneife mir erfolgreich ein Grinsen.
Ruhe. Schweigen. Leere Augen stieren mich an. Godzilla wurde der Fischberg geklaut, King Kong hat die weiße Frau verloren, Tyler Durdan hat das Seifenrezept verlegt. Er ist irritiert, sein Hirn arbeitet verzweifelt gegen die unerwartete Information an. 

Er erwartet Angst. Aber Ich habe Spaß.

Deutlich unbetonter, seelenlos und automatisiert wiederholend begibt sich Willy Herrens verschollener älterer Bruder in eine temporäre Reputationsschleife "Bist Du Musiker?" Die Luft steht, kleine Staubpartikel glitzern stillstehend im gesperrten Luftraum zwischen uns. Es weht ein Reisigbüschel durch den O. K. Corral.
Wiederholung! Jetzt schon! Ihm gehen die Ideen aus, wie er sein bißchen Macht umsetzen soll. Auf zur Eskalation, das kriege ich hin, grinse ich, jetzt zumindest innerlich.


Ich bin nach langer Zeit mal wieder auf einem Schulgelände, dort habe ich aber schließlich mein Handwerkszeug erlernt, meine Grundausbildung in Insubordination mit magna cum laude abgeschlossen. Schlagartig ist alles wieder da und ich gerate in Fahrt. Leute auf die Palme bringen kann ich. Das ist Kernkompetenz und Leidenschaft zugleich. Ach, ich habe einfach zu wenig Zeit für meine Hobbies. 


Wieder zeige ich auf den armen Holli, der nur endlich rein und zum Soundcheck will. "Der da sagt, ich bin keiner!" trällere ich fröhlich und lasse es drauf ankommen. Bin gespannt, wann er mir eine pfeffert und ich nachlegen kann. Sein Gesicht ist schon Burgunder-Flaschen-Rot, eine unförmige weiße Ader, unschön verbogen und geknetscht, vermutlich durch jahrelangen Genuss von beim RTL2-gucken selbst auf dem Fliesencouchtisch gestopften Aldi-Zigaretten hoffnungslos durchblutungsgestört, tritt an seinem unmotiviert rasierten Hals hervor.

Jetzt. Komm schon...


Da packt mich eine Hand und zieht mich mit Nachdruck durch die Tür. "Echt jetzt. Der gehört dazu! Wir müssen jetzt los!" und drin bin ich.
Es hätte so schön werden können.

Wurde es dann ja auch.