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NOFLIX, man !

Da sind wir wieder. Zeit für ein Statement. Wechseln wir mal wieder die Perspektive. Ich bin nach all den schönen Tagen zur Abwechslung ausgeknockt und krank zu Hause. Ein Zustand, der mir nicht ganz unbekannt ist, denn ich verausgabe mich gern regelmäßig zum Jahresende, werde unaufmerksam, jedenfalls was mein eigenes unbeachtetes Wohlbefinden angeht, und bin zu  Jahresanfang dann schon mal mehr oder weniger lädiert, weil der geschundene Leib sich ungefragt verausgabte Ressourcen zurück erobert.

 

Diesmal habe ich allerdings auch mal wieder zu laut "hier!" gerufen, als die Beweise für die "Axel-Hypothese" für meine eigene alternative-Fakten-Theorie verteilt werden sollten, eben jene unverifizierte Ansammlung von Annahmen, nach der Gott eine Frau oder wenigstens "Karma eine bitch"  ist. Diese, hier vertiefend zu schildernde, Art von scheinbaren Koinzidenzien ist von einer solchen Art perfidem Humor getragen, der selbst Männern vom Schlage eines Hannibal Lecter oder Hans Landa abgeht und auch in den "Hundertzwanzig Tagen von Sodom" meiner Kenntnis nach nicht gefunden wurde.

 

Am letzten Ab-aus-dem-Urlaubstag kündigte sich bereits unheilvolles Holidaybeiwerk ohne Bewertungsportaloptionen an. Links oben in meinem durchaus für Veränderungen offenen Querschädel machte ein angegriffener Backenzahn, vermutlich über vierzig Jahre alt, ungenügend beachtet, ungeliebt und ohne den Biss vergangener Tage, mit deutlichen Stichen auf sich aufmerksam und forderte ziemlich unnachgiebig, diskussionsarm und abrupt längst überfällige Wertschätzung, die sich vermutlich obendrein in einer ordentlichen zahnärztlichen Zuzahlung manifestieren und damit weiteren, dann eben peripheren, aber nicht weniger beeindruckenden, Schmerz auslösen wird.

 

Allerdings reicht dies noch nicht aus, um meine vorgenannte Theorie auch gegen Widerstände zu stützen, dafür habe ich schon zuviel unamüsante Zeit auf den Zahnarztstühlen dieser Republik verbracht : Auf der gegenüberliegenden, der rechten, Seite meines linksseitig lädierten Schädels, machte sich jedoch zeitgleich eine kapitale Ohrentzündung, vermutlich ein selbst verschriebenes Überbleibsel der zugigen friesischen Außenanlagen, auf den Weg ins Innere des Craniums. Für mich eine neue Erfahrun.
Zu abstrakt? Ok. Man nehme eine Kerze und zünde diese an. Darüber erhitze man einen handelsüblichen Kreuzschraubenzieher, bis die Spitze glüht und erste Rußpartikel ansetzt. Jetzt führen wir dieses essentielle Heimwerkertool genussvoll in den ahnungslosen Gehörgang ein, bis wir das Trommelfell erreichen, brechen den Griff ab und belassen die Spitze mitten im verödeten, geröteten und satt triefenden Innenohrgewebe. Es sutschen Eiter und Wundflüssigkeit um die Wette und erzeugen dieses unnachahmliche "Knetschen" im Ohr, das wir noch aus harmonisch verklärten Freibadausflügen in Kindertagen erinnern. Nur diesmal ohne Pommes rot-weiß.

 

Von links also der pochende Kiefer. Von rechts die stechende Ohrentzündung. Super. Ich erinnere mich an die Szene, als der Joker dem Mafiosi aus Gotham erklärt, wie man einen Bleistift verschwinden lassen kann und habe klare Identifikationsvorsprünge auf meiner Seite, gepaart mit jenem Gefühl, dass nur Barnes bei Elias auslösen konnte. Arme hoch und feiern wir das!
Das eitrig-pochende, ziehend-stechende, entzündete Ganze belegt mich natürlich nicht nur an den letzten verbleibenden freien Tagen vor dem zu erwartenden energetisch aufwändigen beruflichen Jahresneustart sondern auch noch an einem arztfreien Wochenende. IBU wirds richten. Und Paracetamol. Viel davon. Und oft. Bis Montag muss ich durchhalten. Ich würde gern meinen Kopf abschrauben und irgendwo abgeben, aber wer will den schon haben...vielleicht wenn ich vorher noch kopflos an 72 Otologen vorbeilaufe? Gibt es die Bunte Kuh eigentlich als GSi?

 

Es wurde Montag. Es kam dann wie befürchtet. Zahnarzt, Hausarzt und HNO-Klinik überboten sich mit AU-Bescheinigungen und zogen mich direkt aus dem Verkehr, damit Antibiotikum, Cortison, Tropfen, Salben und Tabletten ihren Dienst verrichten können.

 

Aber es gab auch einen Lichtblick, dünkte es mir. Denn es begab sich aber just zu dieser zeit, daß bei Netflix große Dinge geschehen sollten. Herrliche Dinge! Dinge, die eines Mannes Leben lebenswert machen, die OLED und Surround ihrer wahren Bestimmung zuführen, die selbst letzte Lebensgeister erwecken, Heilungsprozesse beschleunigen und den Erholungsgrad rucki zucki auf das postkoitale badebemantelte Relaxationsniveau eines Hugh Hefner oder Jeff Lebowski zu befördern in der Lage wären.  Denn genau jetzt stellte Netflix einen neuen Michael Bay-Film ein und startete außerdem die lang ersehnte sechste Staffel der "Blacklist" !
Horrido, Heureka, gelobt seiest Du, oh Schmerzzahn! Demütig knie ich vor Dir im gesegneten Staub und akzeptiere die außerordentliche Pein, dient sie doch einem höheren Ziel! Und Dank Dir, eitrig rote Ohrentzündung, gibst Du mir doch die Möglichkeit, jene Meisterwerke der neuzeitlichen Unterhaltungskunst entspannt zur Unzeit zu genießen, und forderst dabei lediglich das Ertragen unsäglich pochenden, stechenden Schmerzes, welch Lächerlichkeit angesichts der Leiden, die so viele Teile dieser Welt belegen! Sicher. Mein Gesicht ist halbseitig geschwollen und gerötet, mein Spiegel meldet mir einen Endzwanziger im Körper eines Endvierzigers, der offenbar Quasimodos Kyphose von hinten nach vorne gewürgt hat und voller Stolz im Gesicht trägt. Her mit den Eisbeuteln, das ist alles eine Frage der Motivation! In die Knie zwingst Du mich niemals, oh unschöne Deformation, ist doch die Belohnung gar so verlockend!

 

Doch wie im Film haben auch mir die Nihilsten auf den Teppich gepisst. Allerdings diesmal scheinen die Ungläubigen dafür verräterisch in die Hocke gegangen zu sein. Denn wie sonst ist es zu erklären, dass ich zwar Gelegenheit, Mittel und Motiv für einen echten Netflix Marathon bekomme, natürlich streng an der Genesung ausgerichtet und der zeitnahen Regeneration verpflichtet, aber diesen wegen der unsäglichen Kopfschmerzen gar nicht ausführen kann? Dass es mir die personalisierte spürbare Achse des Bösen, eine direkte, glühende, schmerzende Linie mitten durch meinen maltretierten Schädel, unmöglich macht, länger als zehn Minuten auf den Bildschirm zu sehen? Dass jede aus früheren Zeiten als "bequem" gespeicherte, annähernd horizontale Ruhestellung meines Körpers Hektoliter pochenden Blutes in die infektiösen Kopfregionen entsendet, die jeden entspannten Filmgenuss, sei er liegend oder sitzend, in der elften Minute zunichte macht? Mich ziellos hin- und umher laufen lassen wie einen stattlichen, aufrechten, aber vom Aussterben bedrohten hessischen Berglöwen im Hausmeisterhäuschen einer westfälischen Nymphenburg-Imitation?

 

Und so darf ich mich also vollends auf den Schmerz konzentrieren. Von links. Von rechts. Pochend, stechend, tagelang. Na vielen Dank. Der Fernsehr hat Pause. Das Sofa dient lediglich als Zwischenstopp zwischen Schmerzmittel und Ohrentropfen. Vor mir das ultimative Entertainmentprogramm und ich unfähig, irgendetwas, das die Länge eines Werbespots überschreitet, aufzunehmen. Ein psychischer Zusatzstress, der allein bereits in der Lage sein wird, eine posttraumatische Belastungsstörung auszulösen, schätze ich. Wie eine heilsbringende Möhre, die der klapprige geschundene Gaul einfach nicht erreichen kann.
Weh, Oh, Wehe ! Oh Heilsbringender cinematografischer Luszendent, könntest Du mir doch wieder die fernen Welten nach Hause bringen! Verknappen mir die Zeiten der Pein! Erhellen meines schnöden Heimes karger Wände mit dem Glanze Reddingtons Huts!

Und so kommen wir wieder zu meiner Theorie : ein Mann würde das niemals einem Mann antun. Karma is a bitch und ich höre sie irgendwo dahinten leise lachen.