Medien
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10. Februar 2020
Sabine fährt Diesel ?

Da sind wir wieder. Zeit für ein Statement. Ich bin in Gefahr. Wieder einmal bin ich in meinem persönlichen Autobahn-Bermuda-Dreieck unterwegs. Da wird die Straße dein ruppig treuer Freund und der Asphalt singt deinem Leben den brummigen Soundtrack zum sympathisch angestrengten Versuch, es zukünftig besser zu machen. Bündelweise Spritquittungen sind stumme Zeugen der eigenen Anstrengungen, mit den Liebsten Zeit zu verbringen, archivierte Belege der eigenen Unstetigkeit der vergangenen Jahre, die nun niemand sehen will, wozu auch. Nun ja.
Das Multimediasystem meines Autos hält meinen Kontakt zur
Außenwelt wie das Periskop seinerzeit Käpt ́n Kaleun auf der U96 in der Meerenge von
Gibraltar. Fernsehen, Radio und Internet sind seit Wochen voll von Corona-News. Während
aber ausnahmslos jeder hip tätowierte, betont coole Attitüde präsentierende, obenrum bärtige und untenrum rasierte Mann – es treten übrigens auch gelegentlich genauso ausgestattete Frauen auf, diese sind dann aber in der Regel deutlich weniger Rolemodel-tauglich – bei Neuigkeiten zum Thema Corona sofort die E-Zigarette zückt um sie zu dem
einzig assoziierbaren namensgleichem mexikanischem Bier zu smoken, ist für uncool
untätowierte und eher tiefsinnig-haptisch orientierte Menschen wie mich dagegen hier nur
die Rede vom neuartigen Virus aus der chinesischen Wuhan Metropole. Ich komme als
regelmäßiger Medienkonsument gar nicht umhin, davon beschallt zu werden, dass wir diesmal nun aber
wirklich alle untergehen, bevor uns der Klimawandel tötet, nachdem wir BSE und Vogelgrippe gerade so überstanden haben.
Aber während der Fahrt muss ich mich konzentrieren und ich habe
noch Strecke zu machen. Mit einer intellektuell brauchbar ausgestatteten mentalen Schutzmaske der Ignoranz ausgestattet, hangele ich mich durch das seinerseits tägliche unreflektiert warnende Medienprogramm, welches stündlich immer
wieder anderen popularitätsheischenden ehemaligen Medizinstudenten die Möglichkeit gibt,
über die epochalen Gefahrenherde aufzuklären, während die Gutmenschen der
Öffentlich-Rechtlichen schon aus Prinzip dagegen halten und geradezu zwanghaft panisch
davor warnen, in Panik zu verfallen. Selbst im Auto und bei 150.
Aha. Nun kommt also Sabine hinzu. Ein dramatisiertes Sturmtief,
welches die ehemals bunte Republik tagelang mit einem tristen Grau der Windstärke 12
überziehen wird und selbst einem Hauke Haien Angst und Bange machen würde. Dabei sollen die einzelnen Tage diesmal bis zu 24 Stunden lang andauern, was eine echte Zusatzbelastung wäre. Die leidenschaftlich stürmisch blasende Sabine wird dabei keinesfalls,
wie man denken könnte, für ausschließlich entzückte Gesichter sorgen, wohl aber für, eher
unerfreulich, abgedeckte Dächer, unterbrochene Bahnoberleitungen (nicht zu verwechseln mit den
gelegentlich nach Betriebsfesten vorkommenden erbrechenden Bahnoberleitern) und abgesagten Flugverbindungen.
Deutschland wird wohl jetzt im Chaos versinken, denke ich, als
ich entspannt auf der linken Spur endlich die Grenze zu NRW überquere. Vermutlich wird es eine humanistische Illusion bleiben, dass der Ausbau des BER mit Parkettdielen aus dem Hambacher Forst generationsvereinend abgeschlossen werden wird, und
die wenigen überlebenden Menschen verkriechen sich dann ängstlich im Schutzgebiert
Stuttgart 21. Im Radio herrscht eine eindringlichere Untergangsstimmung als seinerzeit im six feet under Büro bei Bruno Ganz. Apokalyptische Szenarien werden wie mediales Dope auf Spritze aufgezogen und wechseln sich
stündlich mit dramatisierten Verhaltenstipps ab. Ich werde mich wohl in meinen
Kartoffelkeller verkriechen und warten bis die UN in ein paar Tagen Truppen schickt. Ich
bestelle mir nachher besser noch rasch online eine Notfall-Flagge bei Amazon, dann finden
die mich schneller, denke ich. Mit Prime ist sie morgen da und ich kann sie gleich raus
hängen. Hoffentlich ist das nicht zu spät.
Während ich so meinen Gedanken nachhänge und meinen letzten
Willen vorformuliere ohne zu wissen, durch welches der Szenarien ich umkommen werde,
spuckt mich die A44 Höhe Abfahrt Meschede wieder auf die Bundesstraße aus.
Wie hat es uns Will Smith in „After Earth“ beigebracht? „Gefahr ist real. Angst ist eine
Entscheidung!“ Ein Hinweis, der im ersten Anlauf wie aus einem, von einem geschiedenen
Mann herausgegebenen, Paartherapie-Ratgeber zu kommen scheint, ist HIER tatsächlich von
Nutzen. Ich beschließe, mich nicht verrückt machen zu lassen und steuere eine Tankstelle
im Hochsauerlandkreis an. Hier kenne ich mich aus, ich habe schon oft hier getankt, es
ist mittlerweile eine fast schon lieb gewonnene Gewohnheit. Entspannt beobachte ich die
wenigen Menschen die am heutigen Sonntag unterwegs sind, offensichtlich frisch gebügelt
auf dem Weg zur Kirche oder frisch vermöbelt auf dem Heimweg vom gestrigen Dorffest, schlussfolgere ich. Das
Sauerland ist da durchaus planbar.
Ich steige aus und entnehme den stumpf glänzenden und von den Kratzern
der letzten Jahrzehnte gezeichneten Zapfhahn, der vermutlich auch
noch aus den Achtzigern stammt, wie auch der ländlich-romantisch
verklärte übrige Teil des „German Route 66“ Ensembles hier. Er will nicht so recht in die Tanköffnung passen. Ich versuche es erneut. Wieder nichts. Jetzt werde ich nervös
und überprüfe den ordnungsgemäßen Zustand der Vorrichtung ebenso
wie die Auswirkung meines eigenen ungeschickten Vorgehens. Wie ein
Offizier und Gentleman in der ersten leidenschaftlichen Nacht mit der Angebeteten. Da geschieht es. Die Zapfpistole, vermutlich hat sie mich erkannt und möchte mir zeigen, dass ich
nicht der einzige Mitvierziger mit Anzeichen einer Midlife-Crisis bin, ejakuliert sehr abrupt
die frisch raffinierten additivierten Fossilbrennstoffe an die nähere Umgebung. Die
Umgebung bin dabei in erster Linie : ICH. Meine Hose, meine Schuhe, mein Hemd, meine Jacke
und nicht zuletzt mein mühsam errichtetes Ego sind betroffen und klitschnass. Diese Gefahr
war real und mich hat niemand gewarnt. Wäre ich Raucher würde ich nun vermutlich unfreiwillig das "Rosenrot"-Video nachstellen.
Ich stinke jetzt wie ein Iltis. Allerdings einer, der sich mit
letzter Kraft von der Event Horizon gerettet hat. Selbst PETA würde mich wohl jetzt aus
Gnade notschlachten wollen. In meinem Kopf taucht dafür wieder die Schlussszene von "Rambo-Last Blood" auf, während ich langsam die erste Überraschung abschüttele und meinen Adrenalinpegel
hochfahre, schließlich muss ja jemand Schuld sein, denn mir passiert so etwas nicht. Durch das leicht spiegelnde Schaufenster der Tankstelle sehe ich, dass die junge angestellte Kassiererin alles mit
Entsetzen verfolgt hat und sich hinter den Schokoriegeln zu verstecken versucht. Das Weiß ihrer
aufgerissenen Augen durchdringt die dickste folierte Glasscheibe. „Angst ist eine Entscheidung!“ denke ich. Dann gehe ich zu Ihr.
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