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Sabine fährt Diesel ?

 Da sind wir wieder. Zeit für ein Statement. Ich bin in Gefahr. Wieder einmal bin ich in meinem persönlichen Autobahn-Bermuda-Dreieck unterwegs. Da wird die Straße dein ruppig treuer Freund und der Asphalt singt deinem Leben den brummigen Soundtrack zum sympathisch angestrengten Versuch, es zukünftig besser zu machen. Bündelweise Spritquittungen sind stumme Zeugen der eigenen Anstrengungen, mit den Liebsten Zeit zu verbringen, archivierte Belege der eigenen Unstetigkeit der vergangenen Jahre, die nun niemand sehen will, wozu auch. Nun ja.

Das Multimediasystem meines Autos hält meinen Kontakt zur Außenwelt wie das Periskop seinerzeit Käpt ́n Kaleun auf der U96 in der Meerenge von Gibraltar. Fernsehen, Radio und Internet sind seit Wochen voll von Corona-News. Während aber ausnahmslos jeder hip tätowierte, betont coole Attitüde präsentierende, obenrum bärtige und untenrum rasierte Mann – es treten übrigens auch gelegentlich genauso ausgestattete Frauen auf, diese sind dann aber in der Regel deutlich weniger Rolemodel-tauglich – bei Neuigkeiten zum Thema Corona sofort die E-Zigarette zückt um sie zu dem einzig assoziierbaren namensgleichem mexikanischem Bier zu smoken, ist für uncool untätowierte und eher tiefsinnig-haptisch orientierte Menschen wie mich dagegen hier nur die Rede vom neuartigen Virus aus der chinesischen Wuhan Metropole. Ich komme als regelmäßiger Medienkonsument gar nicht umhin, davon beschallt zu werden, dass wir diesmal nun aber wirklich alle untergehen, bevor uns der Klimawandel tötet, nachdem wir BSE und Vogelgrippe gerade so überstanden haben.
Aber während der Fahrt muss ich mich konzentrieren und ich habe noch Strecke zu machen. Mit einer intellektuell brauchbar ausgestatteten mentalen Schutzmaske der Ignoranz ausgestattet, hangele ich mich durch das seinerseits tägliche unreflektiert warnende Medienprogramm, welches stündlich immer wieder anderen popularitätsheischenden ehemaligen Medizinstudenten die Möglichkeit gibt, über die epochalen Gefahrenherde aufzuklären, während die Gutmenschen der Öffentlich-Rechtlichen schon aus Prinzip dagegen halten und geradezu zwanghaft panisch davor warnen, in Panik zu verfallen. Selbst im Auto und bei 150.
Aha. Nun kommt also Sabine hinzu. Ein dramatisiertes Sturmtief, welches die ehemals bunte Republik tagelang mit einem tristen Grau der Windstärke 12 überziehen wird und selbst einem Hauke Haien Angst und Bange machen würde. Dabei sollen die einzelnen Tage diesmal bis zu 24 Stunden lang andauern, was eine echte Zusatzbelastung wäre. Die leidenschaftlich stürmisch blasende Sabine wird dabei keinesfalls, wie man denken könnte, für ausschließlich entzückte Gesichter sorgen, wohl aber für, eher unerfreulich, abgedeckte Dächer, unterbrochene Bahnoberleitungen (nicht zu verwechseln mit den gelegentlich nach Betriebsfesten vorkommenden erbrechenden Bahnoberleitern) und abgesagten Flugverbindungen.
Deutschland wird wohl jetzt im Chaos versinken, denke ich, als ich entspannt auf der linken Spur endlich die Grenze zu NRW überquere. Vermutlich wird es eine humanistische Illusion bleiben, dass der  Ausbau des BER mit Parkettdielen aus dem Hambacher Forst generationsvereinend abgeschlossen werden wird, und die wenigen überlebenden Menschen verkriechen sich dann ängstlich im Schutzgebiert Stuttgart 21. Im Radio herrscht eine eindringlichere Untergangsstimmung als seinerzeit im six feet under Büro bei Bruno Ganz. Apokalyptische Szenarien werden wie mediales Dope auf Spritze aufgezogen und wechseln sich stündlich mit dramatisierten Verhaltenstipps ab. Ich werde mich wohl in meinen Kartoffelkeller verkriechen und warten bis die UN in ein paar Tagen Truppen schickt. Ich bestelle mir nachher besser noch rasch online eine Notfall-Flagge bei Amazon, dann finden die mich schneller, denke ich. Mit Prime ist sie morgen da und ich kann sie gleich raus hängen. Hoffentlich ist das nicht zu spät.
Während ich so meinen Gedanken nachhänge und meinen letzten Willen vorformuliere ohne zu wissen, durch welches der Szenarien ich umkommen werde, spuckt mich die A44 Höhe Abfahrt Meschede wieder auf die Bundesstraße aus. Wie hat es uns Will Smith in „After Earth“ beigebracht? „Gefahr ist real. Angst ist eine Entscheidung!“ Ein Hinweis, der im ersten Anlauf wie aus einem, von einem geschiedenen Mann herausgegebenen, Paartherapie-Ratgeber zu kommen scheint, ist HIER tatsächlich von Nutzen. Ich beschließe, mich nicht verrückt machen zu lassen und steuere eine Tankstelle im Hochsauerlandkreis an. Hier kenne ich mich aus, ich habe schon oft hier getankt, es ist mittlerweile eine fast schon lieb gewonnene Gewohnheit. Entspannt beobachte ich die wenigen Menschen die am heutigen Sonntag unterwegs sind, offensichtlich frisch gebügelt auf dem Weg zur Kirche oder frisch vermöbelt auf dem Heimweg vom gestrigen Dorffest, schlussfolgere ich. Das Sauerland ist da durchaus planbar.
Ich steige aus und entnehme den stumpf glänzenden und von den Kratzern der letzten Jahrzehnte gezeichneten Zapfhahn, der vermutlich auch noch aus den Achtzigern stammt, wie auch der ländlich-romantisch verklärte übrige Teil des „German Route 66“ Ensembles hier. Er will nicht so recht in die Tanköffnung passen. Ich versuche es erneut. Wieder nichts. Jetzt werde ich nervös und überprüfe den ordnungsgemäßen Zustand der Vorrichtung ebenso wie die Auswirkung meines eigenen ungeschickten Vorgehens. Wie ein Offizier und Gentleman in der ersten leidenschaftlichen Nacht mit der Angebeteten. Da geschieht es. Die Zapfpistole, vermutlich hat sie mich erkannt und möchte mir zeigen, dass ich nicht der einzige Mitvierziger mit Anzeichen einer Midlife-Crisis bin, ejakuliert sehr abrupt die frisch raffinierten additivierten Fossilbrennstoffe an die nähere Umgebung. Die Umgebung bin dabei in erster Linie : ICH. Meine Hose, meine Schuhe, mein Hemd, meine Jacke und nicht zuletzt mein mühsam errichtetes Ego sind betroffen und klitschnass. Diese Gefahr war real und mich hat niemand gewarnt. Wäre ich Raucher würde ich nun vermutlich unfreiwillig das "Rosenrot"-Video nachstellen.
Ich stinke jetzt wie ein Iltis. Allerdings einer, der sich mit letzter Kraft von der Event Horizon gerettet hat. Selbst PETA würde mich wohl jetzt aus Gnade notschlachten wollen. In meinem Kopf taucht dafür wieder die Schlussszene von "Rambo-Last  Blood" auf, während ich langsam die erste Überraschung abschüttele und meinen Adrenalinpegel hochfahre, schließlich muss ja jemand Schuld sein, denn mir passiert so etwas nicht. Durch das leicht spiegelnde Schaufenster der Tankstelle sehe ich, dass die junge angestellte Kassiererin alles mit Entsetzen verfolgt hat und sich hinter den Schokoriegeln zu verstecken versucht. Das Weiß ihrer aufgerissenen Augen durchdringt die dickste folierte Glasscheibe. „Angst ist eine Entscheidung!“ denke ich. Dann gehe ich zu Ihr.