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It ´s an easter island, Baby!

Willkommen Zugereister! Es ist schön hier im Sauerland und es gibt viel zu sehen. Nicht alles erschließt sich sofort, aber ich möchte gerne eine weiter engagiert flackernde Erkenntniskerze in die nur scheinbar dunkle Nacht der derzeitigen coronalen Verwirrung platzieren.

 

Auch das widerspenstig-sympathische sauerländer Bollwerk zwischen Ostwestfalen und dem Siegerland ist mittlerweile in den Fängen jener unseligen Fledermaussuppen-Bäuerchen, die Ende letzten Jahres beim Chinesen erstmalig aufgetaucht sind. Zwar hilft diesmal auch Bullrich´s Magensalz nicht weiter (sonst immer eine sichere Bank bei all-you-can-eat Buffets) , aber zumindest wissen wir jetzt, was für Auswirkungen es hat, wenn in China ein Sack Reis umfällt. Und während wir heute vor einem Jahr noch, lebhaft bemüht die Langeweile der eigenen Existenz abzuschütteln, darüber stritten ob man denn nun als aufgeklärter Humanist und Menschenrechtler an Karneval weiterhin als Indianer, Araber oder eben auch Chinese verkleidet gehen darf, scheint dies nun keine Rolle mehr zu spielen. Wir haben wieder wichtigeres zu tun. Endlich ist „69“ nicht mehr nur eine asiatische Nudelpfanne. Bowie ist tot, lasst uns „China Girl“ spielen.

 

Die gesellschaftlichen Umwandlungsprozesse machen auch vor dem Sauerländer und seiner sprichwörtlichen Perle nicht halt. Der Familienzusammenhalt war immer schon hoch, in besonders abgeschiedenen Gegenden ohne Fernsehempfang wurden die kostbaren Gene oft nur unter Protest an Partner außerhalb des eigenen direkten Umfelds abgegeben, doch auch im gepflegten, erbausparten Reihenaus mit Hanglage wird der Raum für Mama mit zwei Kindern eng, wenn sie die Schützenfest-Statisten-Nachrücker-Generation nicht mehr „eben naache Omma“ bringen kann, der Ehemann wegen des verfallenen Krombacher-Brauereiführungs-Gutscheins in eine mittelschwere Depression verfallen ist und auch der an der Belastungsgrenze rotiernde Thermomix kein Desinfektionsmittel mehr herstellen kann, weil man wegen der Kontaktsperre nicht mehr an Opas Alkoholvorräte ran kommt. Die Probleme sind hier längst nicht die gleichen wie in den spöttisch betrachteten Mietskasernen der Großstädte, aber eine gewisse, viel zu nüchterne und wenig phosphatschwangere Atmosphäre ist nicht zu leugnen. Es liegt kein Senf mehr in der Luft.

 

Der Eine und der Andere hat sicher noch das Glück, Herpes oder Chlamydien als Mitbringsel aus der letzten Karnevalssession austragen zu dürfen und kann so vielleicht etwas länger von den Erinnerungen an das letzte Rudelfeiern zehren. Wohl dem, der ab und an etwas Cortisonsalbe aufzutragen hat und die farbenfrohen Erinnerungen am Leben halten kann! Wann es das nächste Mal endlich wieder zu solch staatstragenden Dialogen wie „Na?“ – „schonn! Und selbst?“ – „Muss, woll?“ kommen wird, ist leider auch im Land der Karohemden und Traktorenklubs nicht vorherzusagen.

Und so ziehen sie sich immer häufiger auch mal zurück. Jedoch nicht um aufzustecken, sondern, frei nach Moses Pelham „Du denkst, ich weiche zurück, doch es ist Anlauf nehmen!“ , um ihre Innovationskraft zu beleben, Ideen zu entwickeln, unser aller Leben zu bereichern. Die Automotive-Branche braucht gerade keinen Input, vor allem hier liegen Innovations-Ressourcen brach, die jetzt unmittelbar unser aller Leben beeinflussen werden, wie ich schon in den Beiträgen zum Woll-Motor oder Schalentier-Recycling aufzeigen konnte.

 

Die Effekte sind allgegenwärtig, man muss nur hinsehen: so waren es natürlich innovative  Sauerländer, die simple Plexiglasscheiben weiterentwickelten, damit man sie an Verkaufstresen aufstellen oder -hängen kann. Oberflächlich betrachtet eine gute, schnelle Maßnahme zum Schutz der Verkäuferinnen vor dem Coronavirus, sicher. Beim näheren Hinsehen aber sind ja zunächst einmal flächendeckend lokale Metzgereien mit der transparenten Virenbarriere ausgestattet worden und nicht etwa Krankenhäuser oder Pflegeheime, da der Sauerländer nun mal generationsübergreifend seit Jahrhunderten die Fleischereifachverkäuferin als zuvorderst systemrelevant erkannt hat, wertschätzt und selbstverständlich priorisiert unter seine schützenden Fittiche nimmt. Dies führt auch keineswegs zu sozio-kulturellen Spannungen, da auch der sauerländische Pflegeheimbewohner oder die sauerländische Pflegekraft zu geradezu lebensbedrohenden Kompromissen bereit sind, sofern die Versorgung mit heißer Fleischwurst gesichert ist. Lediglich Ärzte oder medizinisch-pflegendes Personal mit Migrationshintergrund werden gelegentlich den lebensbejahenden Effekt eines durchgegarten Naturdarms nicht immer in Gänze nachvollziehen können.

 

Aber natürlich fehlen dem geselligen Sauerländer, der gerne auch als das Erdmännchen Europas bezeichnet wird, die regelmäßigen Zusammenkünfte mit seinen Kumpels an Events wie Schützen- oder Oktoberfest trotzdem massiv. Fehlende Fußballspiele, abgesagte Frühschoppen und ausgesetzte Osterbräuche belasten den immer noch oft nur rudimentär gleichberechtigten sauerländer Mann und zwingen ihn zu ungewohnt ausgedehntem Aufenthalt zuhause, während das Versammlungsverbot natürlich auch seine geliebten passiven Fluchtmomente wie den Tupper-Abend seiner Frau, ihr Vorwerk-Varieté oder schlicht den nebulös unzüchtigen „Mädels Abend“ verhindert.  Und während er sich langsam daran gewöhnt, die Garage nur zu den Mahlzeiten zu verlassen, nimmt er sich jetzt die Zeit für gemeinsame Qualitätsmomente mit den Kindern, die nun von Ihrem Vater auch weniger überlebenswichtige Dinge erlernen, z.B. wie man Speiballen bei Nachbars Katze auch selbst aktiv mit einem beherzten Schnitt zu Tage fördern kann, oder sie bauen gemeinsam Schloss Neuschwanstein im Massstab 1:2 naturgetreu aus Toilettenpapier und eingefärbter Hefe nach.

 

Wir alle haben die Bilder dieser großartigen Hilfsidee in Kampanien gesehen, aber es waren eben nicht die wundervollen Menschen in Neapel, die zuerst Körbe der Solidarität aus dem Fenster hängen, sondern verzweifelte Sauerländerinnen und Sauerländer (auf die Bezeichnung „Gesauerländerte“ sei an dieser Stelle wegen des historisch-chronologisch aufarbeitenden Gesamtzusammenhanges verzichtet) , die, gefangen von kurzfristig angeforderten Wortbeiträgen und unfähig, das Handymikrofon ausgeschaltet zu lassen, in stundenlangen semi-einsamen Telefonkonferenzen die Hoffnung entwickelten, es möge Ihnen jemand mit Mitgefühl Mettbrötchen, Fleischsalat und Ähnliches anreichen und die lieb gewonnenen Rituale „Fleischwursttag“, „Mettwoch“ oder auch den integrativen „Dönerstag“ wertschätzen. Leider stößt das Begehren der arbeitenden TelKo-Teilnehmer mit ihren Baskets Of Bliss nicht immer auf die erhoffte Resonanz, obwohl die durch die Straßen marodierenden beschäftigungslosen Gastronomen, Einzelhändler und Reiseveranstalter doch wirklich genug Zeit dafür hätten. Da hat das italienische Modell sicher einen Vorsprung herausgearbeitet. Aber die Italiener haben ja auch Passionata erfunden und kennen sich daher vermutlich einfach mit dem effektiven Befüllen von Körbchen besser aus, mag sein.


Wir dürfen gespannt sein, welche Innovationen der Kreativitätskick in der Corona Krise aus den Sauerländerinnen und Sauerländern noch so herauskitzeln wird. Und dann bleiben wir wieder kurz stehen, drehen uns bewundernd um und stellen fest: „Nee, watt schön hier!“