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Feuervögel

Da sind wir wieder. zeit für ein Statement. Es ist so ne Sache mit dem innovativ freshly discovered Homeoffice. Und damit meine ich nicht die üblichen mainstreamtauglichen Gruppenidentifikations-Probleme wie optimierungs-bedürftige Selbstorganisation und intensiv kreativ-anstrengende Kinderbespassung. Auch nicht die omnipräsenten Telefonkonferenzen zur Rechtfertigung der Rechtfertigung, bei denen es immer gilt, einerseits noch rasch das Mikro auszuschalten, bevor man den Vollautomaten geschickt heimlich eine handvoll Bohnen zum Latte umzuhäckseln auffordert, und andererseits niemanden merken zu lassen, wie stolz man ist, diesmal  auch eine vollständige (Jogging-) Hose anzuhaben und nicht nur ein sauberes Hemd. Wobei die Gedanken dabei immer noch abschweifen. Macht es Jan Hofer wohl auch so? Susanne Daubner sicher nicht. Und wieviele Stunden Zeitersparnis würden sich wohl addieren lassen, wenn man nur die Vorderseite der Hemden bügeln würde? May Ron Burgundy be with me...
Nein, es geht um etwas Anderes. Ich sitze in meiner Küche, was arbeitstechnisch eine gute Sache ist. Ich habe Platz, kann gut sitzen, habe genug Stromanschlüsse, alles Tutti. Aber ich sitze natürlich auch : in der KÜCHE! Jener bislang sträflich vernachlässigte Ort, der mir morgens und abends, wenn ich ihn auf dem Weg zur Arbeit passierte, quasi nebenbei irgendwelche Nahrungsmittel zwischen "kann man essen" und "ist doch noch gut" zuwarf. Mein persönliches zeitraffendes Wurmloch zwischen Außenwelt und Cocooning-Base. Dem ich mich wirklich leidenschaftlich bislang nicht widmete, auch nicht beim nervig regelmäßigen und regelmäßig nervigen einmal-trocken-zweimal-feuchten Reinigungsvorgang. Erstaunlich, was Mikrowellen, TK-Ware und Knäckebrot für Schmutz machen können. Vermutlich bin ich der Einzige, der sein Wurmloch regelmäßig reinigt. Vielleicht sollten das noch mehr Leute tun. Mit fallen da spontan ein paar Leute ein, deren persönliches Wurmloch sicher auch mal öfter als nur  Samstags feucht gereinigt werden könnte,  die Ludolfs zum Beispiel. Ich schweife ab.
Nun koche ich ja eigentlich leidenschaftlich gern. Nicht gut, aber leidenschaftlich. Also, naja, früher. Mangels dankbarem Publikum war das eine ganze Weile ent-leidenschaftisiert eingeschlafen. Für sich allein packt man einfch nicht die große Keule aus, steckt  Stangengemüse in seinen Speck oder fummelt hinterher an den Pfirsichen herum. Außer man ist Dolly Buster, vielleicht. ich schweife erneut ab.
Was soll ich auch machen? Anthony Bourdain ist tot. "Ratatouille" nur von Pixar und außerdem voller Paprika und Steffen Hennsler hat "Eier mit Speck" verkackt. Ich muss die kulinarische Welt also allein retten. Und nicht nur das! Ich muss mich selbst gleich mit retten. Aus der vollverarbeiteten, bequem und in drei Miuten durcherhitzten Industrienahrungswelt vor der mich Dr. Udo Pollmer immer schon gewarnt hat, hin zu den kulinarischen Sphären einer Petersilienwurzel-Cremesuppe , "Three Little Pigs" oder eines gekonnt vierstündigen Jambalayas. Auf geht´s.
(Zweiter Aufzug. Dramatische Musik, Feuer, Rauchschwaden. Eine eindringliche Stimme mit viel Hall spricht) "Und SIEHE! Es begab sich aber zu der Zeit, dass der Manne des Speisenerwärmens überdrüssig ward und er sich mühte, gehaltvollere Speisen auf seinen schmucklos maskulinen Küchentisch zu bringen, als ihm eine himmlische Offenbarung zuteil wurde. Ihm erschien ein Start-Up-Engel am beige-bekachelten Küchenspiegel, bereit, die Gewürze der Welt in sein Haus zu holen, vielfältig, geheimnisvoll und von wahrhaft göttlicher Substanz. "Auf den Berg der Erkenntnis sollst Du gehen, auf dass ich Dir zehn Gewürze gebe" sprach er."
So oder so ähnlich hat es sich wohl abgespielt. Und das nur, weil ich im Homeoffice optimierungshungrig und hungeroptimierend auf meine trostlos modulige Küchenzeile starre. Vielleicht war auch was an dem Dosen-Bami-Goreng von letzter Woche nicht mehr gut, es war wegen MHD-Erreichung reduziert und hatte eine vierstellige Postleitzahl, aber bei all den E-Nummern sollte das doch wohl noch gehen, dachte ich. Aber nun bin ich ja bekehrt, habe heim gefunden zum Herd der Erkenntnis, zum Gral der ewigen Oberhitze und der tiefgründigen Schlichtheit eines polierten Ceranfeldes. Jedenfalls stehen seit kurzem zehn wunderschöne, , sündhaft teure, schwarz glänzende manufakturierte Keramiktöpfchen mit passgenauen edlen Echtkorkdeckeln in meiner Küche. Feine , weiße Ettiketten künden von den kulinarischen Schätzen der Welt, von "BERBERE" über "DUKKHA", "TIKKA MASALA" bis "ZA´ATAR" . Bereit mich mitzunehmen auf eine kulinarisch-bourdainistische Entdeckungsreise durch die Küchen dieser Welt.
Heute mache ich mal früher Schluss, achtzehn Uhr muss reichen, heute wird gekocht! Ich entscheide mich für einen one-man-Testlauf mit "TIKKA MASALA", einem fruchtig-scharfen Curry-Gericht mit Meeresfrüchten, geschälten Tomaten, Chili, Zwiebeln, Knoblauch und frischem Koriander, dazu Reis. Vor meinem inneren Auge sehe ich Sternchen zum ersten Mal das Nachwürzen vergessen. Utopisch, ist mir auch klar. Trotzdem. Das wird lecker und sicher ordentlich indisch-scharf. Ich beginne, alles in einer stilvollen tiefen Pfanne in die richtige Konsistenz zu morphen. Es riecht jetzt schon göttlich. Auf der zweiten Platte köchelt der Reis. Aus der Bose-Box schallen natürlich Barry, Maurice und Robin, meine treuen Begleiter bei allen Hausarbeiten. So viel war in dieser Küche schon lange nicht mwehr los. One night only? Wohl nicht. Ich bin der König der Welt, Gordon Ramsey wird bei mir zur Schmusekatze, Lichter lässt nervös die barberierte Wichse-Dose fallen und Rach hat die fünf Euro nicht dabei. Yes, Sir. Ich hab´s voll drauf und schwofe mit meiner kulinarischen Errektion überschwenglich übers Laminat.
Jetzt wird es Zeit fürs Würzen. Zeit fürs Keramiktöpchen. Königsklasse. Kulinarischer Weltruhm erwartet mich. Vielleicht sollte ich das Fenster kippen, um die Nachbarn an den himmlischen Düften aus tausend und einer Nacht teilhaben zu lassen? Soll ich sie sabbern lassen über ihrem Graubrot mit Dauerwurst? Nein, denke ich. Schön dezent zurück haltend wie immer bleiben - NOT! ...und tänzele zum Gewürzschrein.
"Vor Gebrauch kurz anrösten und fein mörsern". Das oberste Gebot bei all meinen eingetopften getrockneten kulinarischen Einhorn-Ejakulaten und Engelsflügel-Federfett-Ölen, kenne ich natürlich. Ich schiebe die köchelnde Pfanne von der heißen Kochstelle und platziere eine beschichtete kleine Pfanne darauf, dann kann die schon mal heiß werden. Nicht, dass es mir geht wie Henssler mit dem Bacon. Amateur!
Ich rücke mir meinen neuen, extra angeschafften fünfhundert-Kilo Mörser ins Arbeitsfeld. Er ist Ausdruck meiner "Size Matters"-Philosophie und ist vermutlich der Grund, warum am Mount Rushmore nicht doch noch einer mehr hin passt (was mir vermutlich Ärger mit den unverbesserlichen Trump-Symphatisanten einbringt), denn er sieht aus wie aus einem kollossalen Bergmassiv herausgearbeitet und ist vermutlich annähernd eine Tonne schwer. Von nix kommt nix.
Ich gebe drei liebevoll abgeschätzte Teelöffelchen des kostbaren Gewürzes in den zwei-Tonnen-Steinblock und rieche daran. Köstlich. Jetzt schon. Ein Blick zum Herd: in der großen Pfanne köchelt es nicht mehr, die kleine Beschichtete sollte auf Temperatur sein. Jetzt beginne ich zu Mörsern und der Petersensche Felsenbeisser scheint eruptiv ätherische Öle und wundersame Gerüche abzugeben. Irre! Ich nehme mir das Keramiktöpchen nochmal zur Hand, greife meine Brille und lese die schier ednlose Zutatenliste durch, was auch nicht schneller geht,als die Zusatzstoffe von "Fondor" zu googlen. Ganz schön lang. So viele herrliche Dinge sind da drin! Wahnsinn! Ich spiele mit dem steinigen Stößel und bin in Gedanken in einer besseren Welt. Robin singt gerade "New York Mining Disaster" und die Zeit scheint still zu stehen.
Oops! Ich muss ja anrösten!
Rasch hieve ich meinen real existierenden kiloschweren Mörser über die zierliche und mittlerweile sicher gut vorgeheizte kleine Pfanne, die seltsam knackende Geräusche von sich gibt und schütte mein Arbeitserzeugnis über ihr aus.
Was dann passiert, liegt irgendwo zwischen "Der Exorzist"  und "Dantes Peak". Spezialisten vom CSI Olpe haben mir hinterher erklärt, dass die Pfanne wohl kurz davor war , ihren Schmelzpunkt zu erreichen und ich das leichte Glühen sicher bemerkt hätte, wenn ich das Licht ausgeschaltet gehabt hätte. Aber so ist vermutlich zuerst die Minze verdamoft, bevor Koriandersaat, Ingwer und Muskatblüte schlagartig in Rauch aufgingen. Für Zimt, Kardamom und die anderen war es dann nur nich eine Frage von Millisekunden. Rauch erfüllte zuerst meine Augen, dann meine Lunge und schliesslich meine kleine Küche. So muss es sein, wenn man einer indischen Beerdigung zu nahe kommt oder es die eigene ist, schätze ich. Blind und ohne Sauerstoff, wie ein strangulierter Grottenolm hüpfe ich umher, unfähig zu atmen oder geradeaus zu sehen. Es brennt in der Lunge und ich huste heftig, was vermutlich dem verdunsteten Chili-Anteil geschuldet ist, der eine zweite Karriere als Tränengas anstrebt.
Ich schubse die Pfanne vom Ground Zero und taste mich wirr hustend und mit tränenden Augen zum Fenster. Doch das Kippen bringt gar nichts. Egal, ich reiße auch noch die Haustür auf und der farbenfrohe Rauch zieht ab wie ein im Freien gezündeter Fogger.  Bitte schön, liebe Nachbarn ! Der König der Welt möchte Euch zeigen, was er kann ! Meine Reputation ist gerade intrusiv anal und nicht mehr mein Thema. Ich bin kurz davor, mich zu übergeben, mir doch egal, wer das mitkriegt, und an essen ist auch nicht zu denken.
Wenigstens hat der Rauchmelder nicht geheult, etwas, was neben mir übrigens auch meine Mutter schoin mal gelegentlich hinkriegt. Gene sind was Tolles. Naja, die Airbags sind bei meinem Autounfall mit Totalschaden ja auch nicht aufgegangen, hat sicher Bill Gates so gewollt.
Als ich anfange mich zu beruhigen tönt "I started a joke" als einzig mögliche Begleitmusik aus der Box. Danke sehr. Die Gefahren des modernen Homeoffice in der Kinski-Version mit Michael Bay im Regiestuhl. Demnächst mehr in diesem Theater.
Epilog : Am nächsten Morgen finde ich direkt vor meiner Haustür vier unschön  tote Vogelküken mit verdrehten Gliedmaßen, wie ich sie seit der Eröffnungssequenz von "Predators" nicht mehr gesehen habe, die wohl entweder suizidal veranlagt  aus ihrem Nest über meiner Haustür gesprungen sind oder Opfer eines Gewaltverbrechens durch <mitbewohner wurden.  Ich frage mich, ob das jetzt marketinganalytisch ein "empty-nester" ist und kann nur hoffen, dass die von mir geschaffene Rauchentwicklung nichts damit zu hat, denn ich hab schon mal unvorhersehbare Wirkung auf Andere. Vielleicht mache ich als nächstes erstmal einen coldbrewed coffee...