
Da sind wir wieder. Zeit für ein Statement. Kharma is a bitch und Gott eine Frau. Diese universell universale Erkenntnis habe ich ja schon des Öfteren geteilt. Nun ja. Is auch was dran...
In meinen ersten, unerfahrenen Jahren im Berufsleben, so um das Jahr 2000 herum, als die leuchtend hell positive Welt mir noch genauso offen stand wie das Verdeck der rot-weißen Ente, war ich schon einmal hier, irgendwo entlang des Ostwestfalen-Highway, zwischen Eggegebirge und Teutoburgerwald. Da alles damals nur sehr semi-freundlich endete, habe ich den Namen des beschaulichen Kurortes seither immer als "Bad Kandahar" geführt, was den von mir damals ausgemachten, taliban-ähnlichen Aggressionsstrukturen sicher gerecht wird, im Übrigen aber den übrigen indigenen Ortsansässigen vermutlich unrecht tut. Sei es drum. Schöne Erinnerungen habe ich nicht viele - sehr wenige - eigentlich keine.
Und als ich nun eigeninitiativ einen Antrag auf Reha bei der Deutschen Rentenversicherung stellte...wohin haben sie mich wohl geschickt? An die stürmische, herrliche Nordsee? Die imposanten Berge im Süden? Oder vielleicht zur Erkundung einer erweckten Perle tief im Osten? Nein. natürlich nicht. Bad Kandahar. Gott MUSS eine Frau sein. Männer haben keinen solchen Humor. Vielleicht mit Ausnahme von Hannibal Lecter.
So wie die Soldaten fern der Heimat, ist man hier fern jeder Definition von "Kur". Es hat nichts mit Hotel oder Erholung zu tun, selbst im Bates Motel ist es heimeliger , selbst Doc Holiday war umsorgter. Wir erinnern uns an die Göttinger Feuerzangenbowle : "Medizin muss bitter sein, sonst nützt sie nicht!". Wenn es danach geht, komme ich, gleichsam einem Jungbrunnen entsprungen, dereinst quicklebendig und erholt zurück in Sternchens Arme. Aber noch sieht es nicht danach aus, ich fange ja gerade erst an.
Natürlich ist die Pritsche in der Zelle, äh, das Bett im Zimmer, knochenhart und das Essen gibt sich alle Mühe, den sich um die einzige Nahrungsquelle der Umgebung scharenden Humanoiden einen Verzicht leicht zu machen. Das war aber zu erwarten, ich bin nicht überrascht.
Und die Docs ? Sie suchen noch. Mein Selbstwertgefühl entspricht dem eines 1995er Fiat Panda in einer ATU-Werkstatt. Sie suchen noch. Und gleichsam bekomme ich das Gefühl, dass auch ich eigentlich nur noch von meinen Aufklebern zusammen gehalten werde. Sie suchen noch. Die Rechnung könnte den Restwert übersteigen, warten wir es mal ab. Bad Kandahar gibt alles. Ich aber auch.
Die ziemlich große Klinik ist gut besetzt und presst alle anwesenden "Rehabilitanden" (ostwestfälisch für "Opfer") obendrein noch in die Corona-Zwangsregeln. Strategisch günstig verteilt und per se unausweichlich positioniert, definiere ich im Wesentlichen zwei Sorten von Insassen , äh, Bewohnern, mit logischen Untergruppen.
Zum einen sind dort Frauen, überwiegend mittleren Alters, ausschließlich in unverfänglichen Dreiergruppen Gleichgesinnter. Vereinendes Stilmittel : Wieder einmal die pflegeleichte Kurzhaarfrisur, die eine Skoda-Oktavia-geprägte Bausparer-Idylle so mit sich bringt. Sie sind immer etwas zu laut, etwas zu lustig und mitteilungsbedürftig. Doch was zunächst an ein Kleinrudel von, wegen der Trägheit ihrer Masse nicht zum Sprung bereiten, übermotivierten Fox-Terrier im Angesicht eines dotzenden Flummis wirkt, sind auf den zweiten Blick geschundene Seelen, vorübergehend befreit aus dem selbst auferlegten Lebensweg, die sich hier sichtbar erholen. Sie scheinen durch alle Körperschichten hindurch zu entspannen, während man das von ihren, um Hilfe winselnden, pflegeleichten Spandex-Hosen in der Regel nicht sagen kann. Aber hier ist das egal. Ihnen geht es hör- und sichtbar gut, und es sei ihnen gegönnt!
Zum Anderen sind dort überwiegend mittfünfziger-Männer, die sich im wesentlichen in zwei Untergruppen unterteilen lassen :
Zum einen die, die ich die "Sozialen" nenne, immer gleich per Du, immer einen lockeren Spruch, vielleicht noch ein Harley-Davidson-T-Shirt aus dem Lidl, Ausdruck unerfüllter Träume, über der, mangels Alternative, zuletzt vor Wochen gewaschenen Jogginghose.
Von Ihnen könnte man auch mit einem photoshop-professional Abo kein Aufnahme machen, welche bei Tinder lang genug betrachtet würde um sich, selbst bei 5G, vollständig aufzubauen. Heute habe ich leider kein Foto für Euch. Aber sie sind übertrieben kontaktfreudig, immer etwas zu dicht um einen rum. Und erholen sich ganz offensichtlich nur durch die aufrichtige, ehrliche, Suche nach neuen , nicht gekannten, ewigen Freundschaften fürs Leben, die nur hier zwischen wahren Seelenverwandten entstehen können. Na klar. Und Roy Blacks Schlagertexte sind mitreißende autodidaktische Kriegsberichte.
Ich wette, dass bei allen "Sozialen" zu Hause ein energischer weiblicher Gegenpart jegliche unaufgeforderte Kontaktaufnahme mit Mitmenschen mit einer gerümpften Nase oder bissig gezischten Kommentaren begleitet. Sie blühen hier auf wie es nur Hapaxanthen tun und werden doch in einigen Tagen zurück in ihr altes Leben kriechen um auf ewig den monokarpen Ausreißer zu bewehklagen. Erholt Euch Männer, Ihr habt´s verdient.
Der andere Männertypus in der Reha sind die "Wisser". Sie sitzen raumerfüllend mit übereinander geschlagenen Beinen da, die Wand im Rücken und alpha-Männchen-tauglich den Raum überblickend. Nicht wissend offensichtlich, dass seit Dienstag in neuer Hecht im Teich ist. Analog zu Captain Quint : Ihr werdet ein größeres Boot brauchen, Jungs.
Auch Sie unterschreiten den 1,50 Abstand gerne mal, schließlich sind sie ja etwas Besonderes. Unablässig sondern sie Weisheiten ab, über Behandlungen, Therapien, aber auch Rechtsschutzversicherungen, Automobilclubs, Solaranlagen und Tirolurlaube. Sie wissen alles. Wirklich alles. Aber, so sei es gepriesen, sie lassen, gottlob, alle uns Unwissende Teilhabe halten an der schier unerschöpflichen Weisheit ihrer geradezu spirituell-rationalen Präsenz.
Worin ihr systemrelevanter Erholungswert liegt, wird sofort klar: irgendein kluger Mensch hat sie unter einem geschickten Vorwand hierher gebracht, damit derweil die zu hause dort allein gelassene, lediglich seinen Lebensabschnitt-begleiten dürfende Unterhosenbüglerin und Sekundärmeinungsberechtigte endlich aufblüht und sich ihrerseits mal richtig erholt. Vermutlich feiert sie eine Fete mit den Nachbarn und hat seit langem mal wieder ihre Kinder zu Besuch. Schlau eingefädelt.
Derweilen parkt sich ihr Mann strategisch an unglücklich unklar geregelten Eingängen oder Gerätschaften um Klinik-Neuankömmlingen mit einem geübten "Da geht es nicht durch", "das müssen Sie so machen" oder einfach einem "Sie sind wohl neu angereist, was?" eine für ihn heimelige Atmosphäre zu schaffen. Sie würden sich sicher als Bademeister oder Blockwart anbiedern, wenn sie könnten, aber jedenfalls sind sie beschäftigt.
Ich beobachte alles mit ausreichend Sicherheitsabstand, schließlich bin hier, um meiner geschundenen Gesundheit auf die Sprünge zu helfen. Kommunikation steht nicht auf meinem Wunschzettel.
Also entwickle ich sehr schnell linguistische Hilfsmittel zur Implementierung räumlich-sozialer Isolationsmöglichkeiten. Nicht, dass wir uns falsch verstehen: mit den Ladies im Speisesaal, den Pflege- und Reinigungskräften oder der Dame am Empfang komme ich prima aus, ich bin einer der Wenigen die "das Personal" grüßen und wir wechseln immer ein paar freundliche Worte. Aber mit den militanten Mitrehabilitanden ist es etwas ganz Anderes.
Während ein unbeachteter "Sozialer" die spürbar verweigerte Zuneigung sofort erkennt und akzeptiert und sich auf die Suche nach neuen Zielen emotionaler Bindung macht, braucht der "Wissende" schon etwas - sagen wir - Unterstützung im Erkenntnisprozess. Es erfüllt mich schon mit großer Genugtuung, einem von ihnen mit einem gepflegten "Danke für den Tipp, aber bitte sehen Sie es mir nach ,ich bin nicht hier, um Freundschaften zu schließen." ins Wort zu fallen.
Das sind sie nicht gewohnt und ihre erstaunt aus den Höhlen tretenden Augen sind stumme Zeugen ihrer Irritation. Es fühlt sich an wie ein mir auf Dauer in der realen Welt untersagtes köstliches Center-Shock mit Genugtuungs-Füllung. Herrlich. Ich habe in seinem gepflegten Vorgarten meinen Namen in dampfend gelben Buchstaben in den Schnee geprägt. Unschädlich, aber sichtbar. Jepp, heute bist Du Sasquatch begegnet und niemand wird Dir glauben. Aber den einsfünfzig-Abstand hält er jetzt.
Währenddessen steigert es meine Abwehrkräfte, was irgendwie auch ein Reha-Erfolg ist. Darauf konnte mich nur Bad Kandahar vorbereiten.
Jetzt erwarte ich irgendwie, dass man mich morgen nackt an die Wand stellt um mich und meine Behausung intensiv zu kärchern. Wir werden sehen, ich geb´ Bescheid.