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Bad Kandahar - Fifty Shades Of Grey (The Hunger Games Part II)

Für alle Lesefaule ist wieder links über dem Bild ein "Play" Button für die akustische Podcast-Version. Viel Vergnügen !

 

Da sind wir wieder. Zeit für ein Statement. Noch immer in Reha.  Noch immer in Bad Kandahar. Immerhin, langsam wird es. Längst verloren geglaubte Körperteile entscheiden sich mittlerweile des Öfteren wieder dazu, die eine oder andere aktive Regung von sich zu geben. OK, meist sind es Schmerzen, aber was schmerzt, lebt noch, sagt der Volksmund. Fein. Eine der wichtigsten Zutaten für eine erfolgreiche Regenerierung ist - klar - die Verpflegung. Doch voller Magen rehabilitiert nicht gut, scheint es. Werfen wir einen Blick hinter die magisch geheimnisvolle zweiflüglige Schiebetür des Speisesaals.

 

Am Eingang warnt ein nicht zu übersehender Rehabilitanden-Stopper, man möge Abstand von seinem Vorhaben nehmen. Doch ähnlich dem "High Voltage"-Schild am T-Rex-Zaun auf der Isla Sorna, muss man es ignorieren, um weiterzukommen. Nachdem ich der netten Dame am Eingang meine Zimmernummer genannt habe, darf ich eintreten. Das tue ich dreimal täglich - Frühstück, Mittag- und Abendessen. Soweit, so logisch. Der Rest bewegt sich irgendwo zwischen militantem Sommerschlussverkauf, überfülltem IKEA-Bällebad und Maggi-Kochstudio. 

 

Zum Frühstück immer das gleiche Bild: geschwächt von der gerade eben so durchstandenen, hungergeplagten Nacht des Darbens, schleppt sich meine zittrig-erregte Karawane von Leidensgenossen zur ersehnten Nahrungsaufnahme. Schweren Schrittes, aber mit festem Blick und stets das Ziel vor Augen, bahnen wir uns den Weg wie Charlie Sheens Trupp in "Platoon". Vorbei an mahnenden Schildchen, die den zu vermeidenden Brennwert der dargebotenen Speisen unübersehbar auf Augenhöhe derart ins Sichtfeld brennen, dass selbst der Mann von Carglass es nicht kostenfrei entfernen könnte. Unser Weg zwingt uns vorbei an Nuss-Nougat-Cremepäckchen und Honigspender, offensichtlich ungesunde, abzulehnende Dreingaben des Teufels, sicher nur zur Irreführung drapiert. Nie sah man jemanden dort etwas entnehmen. Niemals! Die Päckchen haben vermutlich vierstellige Postleitzahlen.

Mit letzter Kraft schleppen wir uns zur Kühltheke mit aufgeschnittenem Käse und Wurst. Hier, in Bad Kandahar, habe ich übrigens gelernt, dass es deswegen "Aufschnitt" heißt, weil man schon ein ziemlicher Aufschneider sein muss, um diese elegant nebeneinander drapierten hauchdünnen Milchersatz- und Fleischderivat-Carpaccios mit glaubhafter Überzeugung als "lecker" zu bezeichnen. Angepasst an die hier gebotene überwiegende Schonkost, sind Käse und Wurst hier jegliche Fette als Inhaltsstoffe und Geschmacksträger  natürlich fremd. Insbesondere beim Käse scheint es sich um großflächig geschnittene, fettfreie Containerschiffs-Dichtungen aus einem Raucherhaushalt zu handeln, wenn sie auf dem Frühstücksteller noch eine Weile nachfedern.  Ich weiß, wovon ich rede, ich habe solche Moosgummi-Dichtungen in den Neunzigern als studentische Hilfskraft eine Zeit lang bearbeitet. In Erinnerung an diese Zeit blieb mir vor allem, dass wir täglich einen halben Liter Milch gestellt bekamen "um die Gifte aus dem Körper zu spülen". Was macht man nicht alles. Ich war jung und brauchte das Geld. 

 

Na, jedenfalls fühle ich mich an dieser Kühltheke auch auf sympathische Weise an Vicco von Bülows "Ödipussi" erinnert, nicht nur, aber auch, wegen der hungrig umher ziehenden Ladies, aber natürlich vor allem wegen der herrlichen Kollektion nebeneinander drapierter steingrauer, mausgrauer, aschgrauer Belagscheiben. Oder- um mich wieder dem beobachteten Zielpublikum anzunähern : Fifty Shades Of Grey eben. 

EINE Ausnahme gibt es allerdings: die angebotenen Salamischeiben sind derart leuchtend rot, dass ich zunächst dachte, hier hätte jemand einer Ansammlung japanischer Nationalflaggen ihre Sonnenscheiben  entrissen. Die hier im Haus angebotene Krankengymnastik, die ich mehrfach erleben durfte, übrigens großartig kurzweiliger Ersatz falls man sich nicht mehr an die Handlung des "Texas Chainsaw Massacre" erinnert, , ist durchaus in der Lage, sämtliche Muskelstränge eines Körpers wohlwollend in rotes Glühen zu versetzen, dieses dürfte dem verwursteten Rindvieh im Vorfeld jedoch kaum zuteil geworden sein. Es muss also etwas von der typisch türkisch-kreativ roten Sucuk-Färbung im falschen Behälter gelandet sein.

Das macht aber nichts! Wem in der Rindswurst zu wenig Rind ist, der behelfe sich mit dem auf der anderen Seite der Kühltheke angebotenen Fruchtjoghurt. Dieser ist, dank der reichlich enthaltenen Rindergelatine, von erstaunlich langlebiger ungekühlter Halbwertszeit und erinnert, vor allem in der Geschmacksrichtung "Himbeere" stark an geschmolzenes Hubba Bubba. Da zeigt die Bad Kandaharaner Küche schon früh am Morgen erstmals ihr Potential.

 

Vor den beiden Kaffeeautomaten, die übrigens einen wirklich heißen und brauchbaren Frühstückskaffee zaubern, bilden sich erwartungsgemäß regelmäßig lange Schlangen nach Koffein dürstender Unausgeschlafener. Hier lässt sich die dem Rehabilitanden zugewiesene Warteposition aber deutlich verbessern, wenn man vom Ende der Schlange quasi beiläufig fragt "Warten Sie auch auf den Koffeinfreien?". Das nur so als Tipp.

 

Zum Mittagessen lässt sich wenig bemerken. Sagen wir mal so: vor der Klinikküche platzen nicht eben gerade die BIO-Tonnen. Ich habe aber Verständnis. Ausschließlich tiefgekühltes Gemüse muss nun einmal in einer Klinik solange durchgegart werden, bis auch der letzte Rehabilitant Möhre oder Zucchini durch einen Strohhalm zutzeln kann. Logisch auch, dass dabei so etwas wie  Salz nur stören würde. (Im übrigen wird das eingesparte Salz auch offensichtlich nachhaltig gesammelt und  für den samstäglichen Eintopf aufgespart, der mit dem Charme einer Salinenspülung ein echtes Abenteuer für jeden Kardio-Patienten darstellt.)

Beilagen wie Kartoffeln, Reis oder Nudeln sind dagegen absolut State Of The Art. Jedenfalls scheinen sie direkt einem modernen 3D-Drucker zu entstammen, und sind wegen vollständiger Abwesenheit vermutlich ohnehin nur störenden Eigengeschmacks nicht zu beanstanden. Würzung enthält das Ganze ohnehin absolut ausreichend durch großzügig eingesetzte Guarkernmehle und Hefeextrakte.

Welches Fleisch-, Fisch- oder Geflügelstück seinen Weg in diese Kompositionen findet, ist übrigens völlig nebensächlich, da es vorschriftsmäßig solange engagiert gegart wird, bis es mindestens ein weiteres Mal zu Tode gekommen ist und sämtliche Viren, Bakterien und Vitamine entmutigt die Szenerie verlassen haben. Auch hier wird wohl ein weiteres Mal dem kliniklichen Schonkost-Ansatz Tribut gezollt.

 

Bleibt noch das Abendbrot. Es entspricht im Wesentlichen dem Frühstück, nur ohne die leckeren Sachen. Dafür werden diverse Brotsorten  dargeboten, alle großbäckereigeschuldet gleich groß, professionell geschnitten und in ähnlichen, engagiert dehydrierten Trocknungsstufen dargereicht. Wir sind am Ende eines ungebremst  rehabilitierten Tages in Bad Kandahar ohnehin alle kraft- und wehrlos. Erschöpft zermahlen unsere Kiefer die angebotene Trockenteigware, spülen sie mit ausreichend Tee der Sorte "...ist aber gesund" herunter und verkriechen uns, sauber satt und trocken, zurück in unser Abteil. 

 

Nun sind wir ja in der Regel nicht wegen des All-Inclusive-Ansatzes hier, sondern wegen der kontrollierbar geregelt-gesunden Nahrungsaufnahme. Also sind Brot und Spiele ohne Spiele völlig o.k. . Es gibt aber keinen Grund, Gordon Ramsay und Frank Rosin im Hinterhof zu verscharren.

 

Morgen lasse ich mir vieleicht erklären, ob Gewürze wirklich so viele Kalorien haben.  Oder sie sind in Bad Kandahar einfach selten.