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Da sind wir wieder. Zeit für ein Statement. Bad Kandahar hat mich zerlegt, gereinigt, gefüttert und wieder ausgespuckt. Ich fühle mich wie ein rotationsgestörter Rubik-Würfel, den man nicht mehr in optimale Form drehen konnte, weshalb er nur noch herzlos unempathisch auseinanderzunehmen und schmerzhaft zusammenzusetzen war. Nun denn. Nach ein paar wenigen entspannten Tagen daheim und den zaghaften ersten Versuchen, meine durch das fünfwöchige kulinarische Waterboarding mittlerweile zugewachsenen Geschmacksknospen ein zweites Mal zu deflorieren und an weiterführende Gewürze zu gewöhnen, die in den letzten 5 Wochen im Nebel der ostwestfälischen Instant- und TK- Verdammnis verschwunden waren, bin ich schon wieder mit gepackter Kliniktasche unterwegs.
Diesmal halb so wild: ein Schlaflabor. Noch dazu ganz um die Ecke. Das krieg ich hin. Ist sowieso übertrieben, hierher zu kommen, denn alle, die Luc Bessons
"The Big Blue (im Rausch der Tiefe)" gesehen haben, wissen, dass man schon etwas länger als die einhundertsechzig Sekunden braucht, die man mir in Bad Kandahar attestiert hat, um vorübergehend
auf hundert Meter Tiefe zu kommen. Lächerlich ! Andererseits reicht es angeblich, um auf dauerhaft 6 feet under zu kommen, also höre ich mir besser mal an, was sie zu sagen haben, schätze ich.
Sternchen wäre sicher nicht begeistert, "CSI Attendorn" durch die Bude stiefeln lassen zu müssen.
Nun stehe ich hier am Empfang einer Klinik in alt ehrwürdigen Klostermauern und versuche mich zu orientieren. Ich bin glücklichrweise in der Lage, meine Komfort- und Geschmacks-Ansprüche auf dem in Bad Kandahar professionell gedownsizedten Level abzurufen und bin auf alles gefasst. "Wie steht es um W-Lan?" frage ich die freundliche Dame hinter der Plexiglaskonstruktion vorsichtig. "Das ist hier im Haus umsonst!" strahlt sie mich an. Donnerwetter. Hätte ich nicht gedacht, ich bin positiv überrascht.
Und so mache ich mich auf den Weg durch die beeindruckenden meterdicken Klostermauern und finde schliesslich meine Station im ersten Stock. Ich passiere den Wartebereich , wo hinter einem Berg von Taschen ein Herr mittleren Alters sitzt, der vermutlich Teile des Genpools von Jabba the Hut wieder aufträgt und offensichtlich entweder an- oder abreist. Ich grüße höflich, schließlich bin ich derjenige, der neu hinzukommt. "Hallo!" tönt es freundlich zurück.
Nachdem ich mich am Schwesternzimmer angemeldet habe, das übrigens jetzt hier auch genderneutral in "Pflegestützpunkt" umbenannt wurde, was immer noch besser als "Brüderinnen und Brüder-Base" klingt, kehre ich zum Wartebereich zurück. Hinter dem Taschenberg schwappt kurz der Kopf des noch immer wartenden Herrn hervor. "Hallo!" ruft er mir zu und sieht mich offensichtlich schon wieder zum ersten Mal. Nun denn. Eine Schwester hetzt vorbei. "Hallo!" ruft er ihr freundlich zu. Ich kriege langsam ein Gefühl für diesen Ort.
Nach dem obligatorischen Corona-Test beziehe ich schließlich mein "Comfort Zimmer Kategorie A". Endlich zahlt sich meine Zusatzversicherung aus, denke ich und finde
mich bestätigt. Denn jetzt habe ich : ein Bett, einen Tisch und einen Fernseher. Wow. Hinter mir fällt die Tür mit einem deutlichen "Trump!" ins Schloss, jedenfalls stelle ich mir so Mar-a-Lago
vor, immerhin gibt es ja noch die minderwertigeren Kategorien "B" und "C".
Ich betrachte den in dynamischen Grautönen gemusterten Linoleumboden, der abgetragen und aufgerollt, sicher auch bei Bares für Rares als "Typisch aus der Zeit,
vermutlich Historismus" durchginge. Jedenfalls muss man für dieses Bootcamp-Charme-Ensemble sicher ins Gefängnishotel in Petershagen ausweichen oder wenigstens bei zugezogenen Gardinen "Der Name
der Rose" noch einmal intensiv ansehen, ohne natürlich Adso von Melks intensive zwischenmenschliche Erfahrungen adaptieren zu können. Übrigens zum Thema Gardinen : ich habe hier keine
Gardinen. Auch keine Rollos, Jalousien oder Rolläden. Ich wäge kurz ab, ob es Sinn macht, den Schrank, vermutlich ein "IKEA Ordinaer" aus den frühen Achtzigern, verdunkelnd vor das Fenster zu
wuchten, verwerfe dies aber schnell wieder, als ich im Prospekt des Hauses den unmissverständlichen Hinweis finde "Wir möchten nicht, dass Sie tagsüber schlafen". Verstanden, ihr wollt ja meinen
nächtlichen Schlaf überwachen. Ich werfe mich auf das professionelle Krankenbett, stelle den Fernseher an und warte.
Und so werde ich, wie erwartet, am ersten Abend in den zweiten Stock bestellt und dort von einer Schwester vortrefflich verkabelt. Eine nicht annähernd so angenehme Erfahrung mit einer Uniformträgerin, wie man denken möchte, denn selbst Jim Carrey als "Cable Man" war hier einfühlsamer. Sie markiert die Haftpunkte der Elektroden u.a. auf meiner Kopfhaut. Dabei nutzt sie einen klassisch spitzen roten Edding und kann sich offenkundig nicht entscheiden, ob rote Farbe oder mein, nach dem Motto "mit Blut wird aus Kohle Diamant" eruptiv hervorgezaubertes Eigenblut die besseren Markierungspunkte liefert. Ich harre stoisch männlich gefasst aus und ertrage alle diversen anderen Schmähungen der Human-Elektrikerin, um es schnell hinter mich zu bringen.
Nach ca. zwanzig Minuten habe ich diverse hermetisch adhäsiv pappende Elektroden auf der Brust, mir kommen dutzende bunte Kabel aus dem T-Shirt, die aussehen
wie die ungemahlen sehnigen Reste des Separatorenfleischs in Rheda-Wiedenbrücks "Hausmacher". Diese Kabelage
harmonisiert vortrefflich mit dem Kabelkonglomerat, welches mir auf den Kopf und in die Haare geklebt wurde und welches nun ebenfalls an mir hochsteht wie die Erektion eines Pennälers beim
Anblick der neuen Mathelehrerin in Van Halens "Hot for teacher". Dazu ein beschlauchter Stecker in die Nasenlöcher und den Bundesverdienst-Erste-Hilfe-Koffer-am-Band vor der Brust.
Gehalten wird das Ganze von diversen unsensiblen Gurtschnürungen oberhalb und unterhalb des Bauches, die keine shapewear dieses Planeten züchtigen könnte, und die mir vermutlich wieder vor
Augen führen sollen, das mein begonnener körperlicher Ertüchtigungsprozess noch nicht abgeschlossen ist. Zumindest, solange ich aussehe, wie eine überlagerte Bondage-Mettwurst, die in einen
Sicherungskasten gefallen ist.
Ich atme tief durch und entspanne mich. Hier ist das ja Tagesgeschäft. Klar: in einer Klosterklinik mit Schlaflabor gehört das zum täglichen Bild. Ärztinnen und Ärzte, Pflegerinnen und Pfleger, Schwesterinnen und Schwestern, allen ist ein solcher Anblick eines Schlaflaborprobanden natürlich nichts Neues. Ich sollte mich also nicht so anstellen.
Aber da bekanntlich Kharma eine Bitch und Gott eine Frau ist, soll ich NATÜRLICH erst noch einmal
zurück aufs Zimmer und später wieder kommen, es ist noch zu früh zum Schlafen, sagt die sichtlich mit ihrem entstellenden Werk zufriedene Schwester. Ich frage mich, ob Mary Shellys gewagte
Installationen schon mal irgendwo ausgestellt waren und mache mich auf den langen Weg zurück ins Zimmer.
Als ich durch die Klostermauern zurück schleiche, kommt mir eine andere Schwester entgegen und nickt wortlos anerkennend. Es ist sonst niemand zu sehen und nicht
viel zu hören, alle sind in ihren Zimmern. Ich drücke den Aufzugknopf und warte, bis sich die, vermutlich aus zu Zeiten der Kreuzzüge erbeuteten Stählen gedengelten, Schiebetüren quietschend
öffnen. Die ältere Dame in der Aufzugkabine reißt wortlos die Augen auf und weicht zurück. "Hallo" entgegne ich, leicht nasal eingeschränkt durch die Schläuche in meiner Nase.
Sie antwortet nicht und versucht möglichst unbemerkt, die hintere Ecke der Kabine zu erreichen. Ich hätte wohl auch "I´ll be back" sagen können oder "Widerstand ist zwecklos.", was meinem gelungenen Outfit wohl auch eher entsprochen hätte. Als ich nach einer gefühlten Ewigkeit ein Stockwerk tiefer ankomme, rufe ich ihr ein freundliches "Schönen Abend" zu, aber sie verstand wohl meine Sprache nicht. Vielleicht überlegte sie auch, ob man mir nach Mitternacht Fleisch gegeben hatte. Jedenfalls verschwand Sie wortlos starrend wieder in den Klostermauern.
Zurück im Zimmer entschliesse ich mich, noch etwas im Internet zu surfen, schließlich ist ja W-LAN umsonst, nicht wahr? Ich finde nach einer Weile heraus, das die dicken Wände jegliche Verbindung unmöglich machen, außer - auf dem Klo. Humor ist, wenn man trotzdem lacht, schätze ich.
Ich verbringe noch einen sehr entspannten Abend in überwiegend sitzender Haltung, bevor ich wieder hoch schleiche und unter dem wachsamen Auge der Überwachungskameras eine ganze Nacht lang kein einziges Auge zumache. "Wir wollen, dass Sie wieder gut schlafen" steht auch in dem Prospekt.
Sie haben wohl ein perfides Joint-Venture mit OWLs Guantanamo. Ihr wisst schon. Aber ich krieg das hin.