
Da sind wir wieder, Zeit für ein Statement. Zeit für den zweiten Teil meines Reiseberichts aus BW, das Prelude zu den Tränen der Dänen.
Wir erinnern uns : ich habe gerade in einem Design-Hotel eingecheckt und just das Zimmer betreten. Ich jongliere die unbedruckte, schlichte weiße Plastikkarte in den dafür vorgesehenen Schlitz auf Augenhöhe an der Wand. Als Hotel-Profi weiß ich, dass ich so die Berechtigung für sämtliche Elektrizität freigebe, Licht, Fernseher etc. Und natürlich passiert : NICHTS.
Ich ziehe den Trolley ins Zimmer, während ich mit einem Fuss die zwei Klafter breite Kemenatenpforte aus freihändig gehobeltem grobporigen Eichenholz aufhalte. Ich schwitze noch vom Weg vom Parkplatz herüber und dem Dialog mit der Aufzugdame. Etwas Wasser wäre schön. Die Schuhe ausziehen wäre schön. Licht wäre schön. Ich drehe die Karte um 90 Grad und versuche es erneut. Und erneut . Da ich nicht weiß, wo "oben" auf der Karte ist, wird es schwieriger und mir gehen die Optionen aus.
Schließlich komme ich zu dem Schluss, dass es keine Rolle spielen kann, wie herum ich die Karte in den Schlitz stecke . Sonst stünde ja etwas darauf. Es war wie eines dieser Straßenverkehrsschilder auf denen steht "hier entlang alle Richtungen". Danke für gar nichts. Ich entdecke den Lichtschalter. Er ist der Schalter für die Klimanlage und offeriert vier Tasten : an, aus, viel und wenig Gebläse. Kapiert.
Direkt daneben, in identischem Design : der Lichtschalter. Also, eigentlich VIER Lichtschalter, auf denen offenbar mikronesische Zwergmücken per Fliegenschiß Beschriftungen aufgebracht haben. Ohne Brille keine Chance. Ich drücke einfach drauf los und - tada! - das Licht geht an. Ich drücke nochmal. Es bleibt an. Ich drücke einen anderen Schalter - jetzt gehen die Nachttischlampen an, die Deckenleuchte ist aus. Ok. reicht. Ich muss gar nicht wissen, was auf dem Lichtschalter steht. Nach weiteren zehn "Klicks" ist das Licht wieder aus, der badische Sonnenstrahl allein erleuchtet die Komposition aus grobporigem Eichenholz, Langfloorteppich und erschöpftem Reisenden. ich fummele meine Brille aus dem Koffer und entziffere die Schalterei : alles ein, alles aus. Verstanden. Aber "Ambiente" ? Und was ist "Nacht"? bedeutet "Nacht" nicht "dunkel/aus" ? ich werde es sehen. Für den Moment klappt alles. Function follows Form. Sieht klasse aus. Ich komme klar.
Ich platziere meinen Trolley und lasse mich aufs Bett sinken. Es besteht aus vierhundert Festmetern grobporigem Eichenholz und wurde vermutlich aus Urwaldbeständen der schwäbischen Alb gezimmert, grob, wild, ungehobelt wie alles und jeder dort. Der Bettrahmen ist locker zwanzig Zentimeter breit und drückt perfekt mit der harten Kante gegen den Oberschenkel wenn man dort am Rand sitzt. Ich bin begeistert. Bleibe ich hier länger als zehn Minuten sitzen, wird der entstehende Bluterguss vermutlich ein badisches Tribal-Tattoo auf meinen Oberschenkel zaubern. Aber man könnte sicher eine schwäbische Veschperplatte auf dem Bettrahmen abstellen und hätte links und rechts noch Platz für eine Runde Auto-Quartett. Function follows Form. Sieht toll aus.
Ich lasse mich der Länge nach aufs Bett fallen um den Druck vom Oberschenkel zu nehmen. Dabei schnappe ich mir die Fernbedienung des Fernsehers und drücke auf "on". Natürlich passiert NICHTS. Ich seufze leise vor mich hin. Vielleicht mit der Taste "1" ?. Nope. Ok. Batteriefach auf, Batterien gegeneinander austauschen. Meist hilft das. Hier? Nope. Ich stehe auf und schalte das große Licht an, um mir den Fernseher anzusehen, der mich schwarz und glänzend anssieht. Ein Bedienfeld würde hier den Gesamteindruck nur stören. Mit den Fingern gleite ich um das Gehäuse herum, auf der Suche nach einem Hauptschalter. Nix. Ich greife mir, wie zum Trotz, noch einmal die Fernbedienung und schwupp - der Fernseher geht an. Was gerade läuft ist völlig egal. Wie ich das hingekriegt habe auch. Ich feiere mich und meine technische Kompetenz, die wieder einmal den Wirren des Lebens ein Schnippchen geschlagen hat. Gott, bin ich gut!
Wo ich gerade stehe, beschliesse ich, mal kurz auf die Toilette zu gehen. Mitten im mannshoch aus grobporigem Eichenholz vertäfelten Zimmerensemble steht eine Dusche, eingerahmt durch spritzwasserabhaltendes Klarglas. ich könnte also beim Duschen Fernsehen. Toll. Am besten die Szene aus Dallas, wo Bobby aus der Dusche kommt und alle zwanzig vorherigen Folgen nur geträumt waren. das wärs. Natürlich könnte auch jeder, der vielleicht mit mir im Zimmer ist, mir beim Duschen zusehen. Nicht ganz so toll. Oder auch die freundlichen Menschen auf dem Parplatz, auf den ich so wunderbar schauen kann. Sicher ein großes Plus für all die vielen Zahnärzte, ähh, Biker, die hierher kommen und gern ihre Harley im Blick haben wollen. Vielleicht. Wessen exhibitionistische Ader hier nicht so weit geht, sein gemächt in die Schwarzwaldluft zu wedeln, der kann einen wirklich wunderschönen, schlichten, weißen Duschvorhang um den Glaskubus herum ziehen. Ein Gewebe aus reiner Baumwolle und höchstens neunzig prozentiger PVC-Beimischung. Und da heutzutage Duschvorhänge aus hygienischen Gründen in Hotels gar nicht mehr verbaut werden, sicher schwer zu kriegen. Hier hat sich jemand richtig Mühe gegeben. Function follows Form.Sieht klasse aus.
Ich werde unsicher. Wo ist die Toilette ? Ich stehe ja quasi mitten im Badezimmer, das mitten im Schlafzimmer steht. Sollte etwa auch die Bedürfnisentleerungsstation prominent platziert sein? Mit Vorhang drum herum? Bilder aus "Alcatraz" und "Schwarzwaldklinik" mischen sich in meinem Kopf. Um mich herum nur glattes, grobporiges Eichenholz, ein seltsam abgeschrägtes Waschbecken, unbeschriftete Öffnungen, in die man etwas hinein- oder herausnehmen soll und natürlich die gläserne Dusche. Keine Toilette. Vielleicht auf dem Gang? Eine Reminiszenz an alte CVJM-Tugenden im Stile des Black Forrest 2.0? Langsam rechne ich mit allem. Meine Blicke schweifen hilfesuchend über das allgegenwärtige mich dicht umschliessende grobporige Holz. So muss es sich anfühlem, lebendig begraben zu werden, denn langsam muss ich wirklich mal. Eine mir bekannte Lichtschalterinstallation mit vier fast planen Tästelchen und einem von Zwergkolibris aufgespucktem Text in mikroskopischer Keilschrift scheint mir ein herablassendes "Ätsch" zuzuraunen. Doch da! Direkt daneben! Schliesslich fällt mir ein kleiner Lederlappen auf, der zwischen zwei Wandvertäfelungen herauslugt, als hätte jemand das Preisschild am Sakko vergessen. Vorsichtig ziehe ich daran und die Wand öffnet sich. Schwer,lautlos, edel und unerwartet. Hier wurde die Toilette als Saferoom verbaut, auch mal ne Idee, je nachdem was man gegessen hat.
In dem fensterlosen Räumchen, das aus einem einzigen Stück schwäbischer Eiche gefräst zu sein scheint, unterbrechen nur ein Spülschalter, eine Toilettenbürste und ein Klopapierhalter, alle wie erwartet aus gebürstetem Edelstahl, die erdrückende Atmosphäre. Es hat aber auch etwas von der Zuschnittstation im Bauhaus. Und ich meine nicht das in Dessau. Ich bin gerne in Baumärkten und das ist ja irgendwie dann wieder schön. Natürlich hat die Toilettentür keine Möglichkeit, sie abzuschliessen, da war man konsequent. Und jede Putzfrau kann es förmlich riechen, wie sich eine bis zum Boden mit grobporigem Eichenholz vertäfelte Toilettenwand im Laufe der Zeit in eine spritzig-bunte Regenbogendarstellung ohne Goldtopf verwandeln wird. Aber Function follows Form. Und es sieht klasse aus.
Ich erledige mein Geschäft, wasche mir erstaunlich unkompliziert die Hände, werfe mich zurück aufs Bett und mache das Licht aus. Der Fernseher verabschiedet sich. Es ist stockdunkel. Ich bin irritiert. Ich wollte nur ein bißchen im Dunkeln fenrsehen und wegdösen. meine Finger tasten nach der Stelle, wo eben noch der Lichtschalter war. Natürlich ist im Dunkeln nicht mehr zu erahnen, wo welche Funktion liegt. Ich drücke ausprobierend auf dem Lichtschalter herum, die Festbeleuchtung ist wieder hergestellt. Der Fernseher geht an. Ich drücke erneut, Deckenlampe aus, Nachtlichter an. Der Fernseher läuft. Wenn sich jetzt nur nicht die nachttischleuchten im fernseher spiegeln würden. Vielleicht ergibt zweimal Ambiente minus Nacht ja TV? Ich bin jetzt wirklich erschöpft.
Ein letztes Mal stehe ich auf, mache meine Runde ums Bett und drehe einfach die Glühbirnen an den Nachttischen raus. geht doch. Jetzt passt es. Auch das Ambiente bei Nacht.
Dann wäre da nur noch die Frage, warum es einen Doppelschalter "Steckdosen ein / Steckdosen aus" gibt. Ist es heutzutage nicht mehr so, dass ein eingesteckter Stecker mit Strom versorgt wird, ein ausgesteckter aber nicht? Früher war das so. Und haben nicht die meisten Elektrogeräte heutzutage einen eigenen Schalter?
Ich bin kurz davor, über der Frage einzuschlafen. Wenn nicht im sogenannten Bad noch die Ventilation seit einer halben Stunde liefe. Außerdem ist das Licht über dem Spiegel noch an. Habe ich die überhaupt eingeschaltet? Ich erinnere mich nicht. Vielleicht bin ich noch nicht soweit, den Wert meiner neuen Erschöpfung zu begreifen. Function follows Form. Sieht aber richtig klasse aus.